[RPG-Thread] Die Stunde der Krähen

Grim starrte den Grafen für eine Augenblicke wutschnaubend an. Es brauchte einen Momen und seine ganze Beherrschung, bis er sich wieder soweit beruhigt hatte, dass er auf die Worte des Grafen eingehen konnte.
"Zeigt mir den Brief", befahl er schließlich und ließ sich die Botschaft geben, die die unheilsschwangere Botschaft enthält. Seine Augen flogen über die Zeilen. Wieder und wieder las er die Nachricht, unfähig zu glauben, dass das wahr sein konnte. Doch es bestand kein Zweifel. Es war das Siegel seines Vaters und die Handschrift seines Schreibers.
Zitternd vor Wut zerknüllte der den Brief in einer Hand.
"Das ist...das ist...argh!"
Nicht länger in der Lage, seine Wut zu kontrollieren, schlug er mit der nackten Faust gegen die Wand. Es war kaum ein Verhalten, das eines Fürsten würdig gewesen wäre, noch brachte es ihm Nutzen. Es gab lediglich einen dumpfen Aufschlag, seine Hand blutete etwas, und der Stein bröckelte an der Stelle, wo seine Faust die massive Mauer getroffen hatte.
Einen Augenblick verharrte er in dieser Position und atmete tief, um einen klaren Kopf zu fassen. Jemand hatte Ircia entführt. Seine Schwester, die er mehr als alles andere in diesem Land liebte, fand sich in den Händen irgendwelcher Schurken, die ihr vielleicht weiß Gott was antun würden! Nein...der Gedanke...
Er atmete tief durch öffnete die Nachricht wieder und sah auf das Datum.
"Was ist nur los mit diesem Land?", kam es grollend von ihm. "Bauernaufstände, Attentäter...und jetzt haben sie auch noch die Dreistigkeit, meine Schwester zu entführen?!"

"Mein Herr...", meldete Valimar sich vorsichtig zu Wort. Er war nicht unglücklich darüber, dass der Zorn des Fürstensohns sich von ihm fort gewandt hatte, doch selbstverständlich konnte er dessen selbstzerstörerisches Toben dennoch nicht gut heißen. Es barg eine Gefahr für Grim selbst sowie auch für andere. Der junge Mann musste wieder zur Besinnung kommen. "Ich kann euren Schmerz nachvollziehen und fühle mit euch. Eure Schwester in solcher Gefahr zu wissen muss euch rasend machen. Ich bitte euch dennoch, nichts Unüberlegtes zu tun. Eure Aufgabe liegt hier. Wir müssen uns um diese Bauern kümmern. Was eure Schwester betrifft, so bin ich mir absolut sicher, dass es nur eine Frage von Tagen sein wird, bis euer Vater sie gefunden und sicher zurück nach Hause gebracht hat. Wahrscheinlich ist sie in diesem Moment ohnehin bereits schon befreit..."

Grim warf dem Grafen einen prüfenden Blick zu, dann wandte er sich ab und hob vorsichtig eine Hand vors Gesicht. Innerlich zählte er langsam bis zehn um sich zu beruhigen, wie seine Mutter ihn früher angewiesen hatte, wenn er einen Wutanfall gehabt hatte.
Als er fertig war, begann er, seine Optionen zu überdenken. Sein erster Reflex war gewesen, sofort aufzusatteln und die Nordermark abzukämmen, bis er Ircia gefunden hatte. Doch was dann? Er hatte keinen einzigen Hinweis darauf, wo sie sein konnte.
Sein Vater hatte die Suche bereits eingeleitet. Sie war immerhin genauso seine Tochter, wie sie Grims Schwester war. Vielleicht würde er sich sogar selbst an der Suche beteiligen. Vielleicht auch Fafnir, auch wenn er das bezweifelte. Sie waren näher an den Entführern als er hier im äußersten Westen.
Und was noch viel wichtiger war: Der Graf hatte recht. Sein Platz war hier. Er hatte sich persönlich bereit erklärt, bei der Bewältigung der Krise zu helfen. Was würden die Fürsten von ihm denken, wenn er bei der erstbesten Gelgenheit vor seiner Pflicht davonlaufen würde. Was würde sein Vater davon halten?
Ein letztes Mal holte er tief Luft und stieß sie vernehmlich wieder aus.
"Haltet mich über die Suche auf dem Laufenden, Graf", wies er ihn an, wieder um einiges gelassener. "Lasst es mich umgehend erfahren, falls es neue Kunde von den Geschehnissen gibt."
Er fasste sich nachdenklich an die Stirn.
"Wir müssen uns auf einen möglichen Konflikt mit den Bauern vorbereiten. Lasst Kunde an alle Männer kommen, die noch in Treue zu uns stehen. Jene, die eine Waffe halten können, sollen sich in der Burg zum Üben einfinden. Wir müssen auf alles vorbereitet sein und können jede Hand gebrauchen."

Der Befehl des Fürstensohns kam unerwartet für Valimar. Hatte die persönliche Tragödie Grim endlich zur Vernunft gebracht, ihn endlich einsehen lassen, dass kein Weg an einer militärischen Lösung vorbei führte? Nun, wer wäre Valimar, würde er sich sträuben, wenn sein Herr endlich auf seinen Rat hörte. Er deutete eine Verbeugung an, ehrerbietig, aber nicht zu tief. Er war schließlich ebenfalls ein Graf des Reiches. "Wie ihr wünscht, mein Herr. Ich lasse zur Musterung rufen", verkündete er und fügte dann, mit einem Blick zur Tür hinzu, "Wenn ihr gestattet, so würde ich darum bitten entlassen zu werden um alles in die Wege zu leiten." Besser rasch handeln, ehe Grim es sich noch einmal anders überlegte!

Grim nickte lediglich geistesabwesend, sein Blick schien in weite Ferne gerückt zu sein. Die ganze Geschichte gefiel ihm immer weniger. Ob jene, die Ircia in ihren Fängen hatten auch die waren, die die Attentäter angeheuert hatten? Waren sie es auch, die die Bauern kontrollierten? Nein, daran wollte er gar nicht denken.
"Leitet alles Nötige ein. Wenn die ersten Ausbildungsstunden beginnen, werde ich sie persönlich beaufsichtigen. Wie haben keine Zeit zu verlieren."
Die Situation war gefährlich und hier herrschte Ausnahmezustand. Er wusste nicht, wie weit die Aufständischen noch gehen würden. Also wäre es das sicherste, die übrigen Bauern vorerst eine Miliz bilden zu lassen. Zumindest so lange, bis die Krise bewältigt war.
Also entließ er den Grafen, um Alister seine letzten Instruktionen zu geben. Denn es gab eine wichtige Sache, um die er diesen noch unbedingt bitten musste.

Faustus war eigentlich schon bereit. Er trug Kleidung, die vielleicht knapp gut genug für einen kleinen Händler war. Ihm war das egal. Er war sich gewohnt, die Kleider eines Schweinehirten zu tragen.
"Ist etwas passiert? Wenn es mir erlaubt ist, zu fragen?", fragte er Grim, als dieser erneut zu ihm kam.
Er war gerade dabei, sich die Haare zurück zu binden.


Das Ehepaar sank demütig vor dem Fürsten auf die Knie. Die Wirtin weinte und bat ihn mehrmals um Verzeihung. So lange, bis ihr Mann ihr über den Mund fuhr.
"Es ist eine Schande für unser Lokal und wenn Ihr verlangt, dass wir unsere Arbeit hier aufgeben, dann tun wir das. Wenn wir gewusst hätten, dass solch schmieriges Pack unsere Gaststätte heimsucht …"
Es war paradox. Seit sich herumgesprochen hatte, dass in diesem Lokal die Prinzessin entführt worden war, war der Andrang an Männern, die hier übernachten wollten, gewachsen. Frauen mieden die Schenke, doch die Männer … sie erhofften sich, die Prinzessin zu finden und so die Gunst des Fürsten zu gewinnen.
Deshalb warteten in der Gaststube viele Münder, die gestopft werden wollte, als der Fürst eintrat. Der Wirt und die Wirtin, beide wurden bleich und sanken demütig vor dem Fürsten auf die Knie.

Grim musterte Alister einen Augenblick und sein Blick schweifte nachdenklich zur Seite. Er verdankte ihm sein Leben aber...konnte er ihm das Leben seiner Schwester anvertrauen? Über kurz oder lang würde er es wahrscheinlich sowieso herausfinden. Gerüchte konnten sich verbreiten wie ein Lauffeuer und es würde wohl nicht lange dauern, bis selbst ihm zu Ohren gekommen war was passiert ist.
Doch stellte sich die Frage...was wenn Ircia bei den Bauern war? Konnte es sein, dass die Köpfe hinter diesem Aufstand es waren, die seine Schwester entführt hatten? Die Möglichkeit bestand. Aber er durfte sie jetzt nicht durch voreiliges Handeln in Gefahr bringen.
"Es gibt Probleme im Osten", erklärte er seufzend. "Mein Vetter Fafnir ist von meinem Vater mit einem neuen Bauprojekt beauftragt worden. Doch die jüngsten Unruhen bringen Versorgungsprobleme mit sich. Die Arbeiten kommen nur schleppend voran."
Das war nicht einmal gelogen. Bauarbeiter wollten schließlich versorgt werden und er konnte vorstellen, dass all der Aufruhr Fafnirs Bemühungen etwas dämpfte.
"Da gibt es noch etwas worum ich Euch bitten muss, Alister", erklärte er schließlich. "Als ich auf einem der umliegenden Höfe war, fand ich eine Bauersfamilie ermordet, die mir sehr nahe stand. Doch ich musste feststellen, dass etwas fehlte." Er schaute auf und sah Alister in die Augen. "Die Leiche ihres Sohnes war nirgends zu finden. Es kann sein, dass die Bauern ihn gefangen genommen haben."

"Hoch mit euch!", brummte Oswin verdrießlich und unterstrich seinen Befehl mit einer unwirschen Geste der Rechten, "Wenn ihr euch erniedrigt bringt mir das meine Tochter auch nicht zurück. Seht besser zu, dass meine Männer versorgt werden. Wir sind hungrig und durstig und die Pferde müssen untergebracht werden. Und wenn ihr fertig seid, dann möchte ich alles hören, was ihr mir über diese Nacht erzählen könnt. Es ist mir gleich, wie oft ihr das meinen Männern bereits berichtet habt, ich will es aus eurem Mund hören."
Unter weiteren Verbeugungen und Ehrfurchtsbezeugungen machten sich der Wirt und seine Frau augenblicklich daran, den Wünschen des Fürsten Folge zu leisten. Oswin sah sich unterdessen im Schankraum des Wirtshauses um. Es war voll hier. Einen freien Tisch gab es nirgends. Aber wieder einmal zahlte es sich aus, bekannt und einflussreich zu sein.
"Nehmt meinen Tisch, mein Fürst!", bot ein älterer Mann, der ein wenig abseits gesessen hatte, mit übermäßigem Diensteifer an und beeilte sich, sich zu erheben, "Ich räume ihn gern für euch."
"Guter Mann", brummte Oswin, warf dem Mann eine Kupfermünze zu und schritt dann schwerfällig auf den frei gewordenen Platz zu. Der Mann, seinen Krug sowie seinen Napf in Händen, wollte sich bereits davon machen, doch Oswin hielt ihn auf.
"Sag", verlangte er während er Platz nahm, "Du siehst aus als wärst du aus der Gegend. Warst du an jenem Abend hier als meine Tochter verschwunden ist? Kannst du mir etwas berichten?"

"Hm…", machte Faustus. Langsam wurde es wirklich ein wenig eng mit seiner eigenen Loyalität. Doch so lange Grim keinen Verdacht schöpfte, war er hier in einer Goldgrube gelandet!
"Ich werde schauen, ob ich den Jungen finde. Ich schau mich nunmal in den angegebenen Tavernen um, ob ich überhaupt Kontakt zu den Bauern knüpfen kann."


"Oh ja … ich war da", bestätigte der Mann. "Ich habe Eure Tochter gesehen. Allerdings war ich nicht der Letzte, der gegangen ist. Es waren einige Leute hier. Doch mit einem Mann haben sich die soldaten Eurer Tochter unterhalten. Ich kann allerdings nicht sagen, ob dieser Mann etwas mit der Entführung zu tun hatte oder nicht. Aber ich glaube, das Gespräch handelte von Eurem Sohn …"

"Der Name des jungen Manns ist Meyne Hjinson", erklärte Grim. "Es ist eine Weile her, seit ich ihn das letzte Mal gesehen habe. Er müsste jetzt etwa...vierzehn Jahre alt sein. Haltet im Zweifelsfall nach einem Jungen mit blauen Augen und hellbraunen Haaren Ausschau. Und wenn er nach seinem Vater kommt, müsste er inzwischen sehr buschige Augenbrauen haben."
Nachdenklich fuhr er sich durch den Bart und vor seinem gesitigen Auge erschien wieder der für sein Alter etwas ernste, aber ehrliche Bursche mit seiner Familie. Er betete, dass diese Aufrührer nichts mit ihm angestellt hatten.
"Vielleicht hat man ihn gezwungen, sich ihnen anzuschließen. Vielleicht haben die Aufständischen auch Gefangene gemacht. Falls dem so ist, müssen wir wissen, wo sie sind. Wir dürfen sie unter keinen Umständen in Gefahr bringen. Wenn wir sie befreien, könnten sie sich auch unserer Sache anschließen."
Er schüttelte den Kopf.
"Doch ich möchte nicht, dass Ihr Euch mehr in Gefahr bringt als nötig, Alister. Versucht einfach, so viel wie möglich über die Aufständischen und ihr Pläne in Erfahrung zu bringen. Wenn wir wissen, was sie vorhaben, können wir das Ruder vielleicht nochmal herum reißen."
Er stimmte Fafnir ungern zu, aber in einer Sache hatte er wohl recht: Wissen ist Macht. Besonders in solch einer Situation.

Unruhig hatte Oswin mit den Fingern der Linken auf der Tischplatte getrommelt, den Worten des alten Mannes nur mit einem Ohr lauschend. Alles, was ihm nicht relevant erschien, zog an ihm vorüber, nur das wichtigste blieb zurück: da war ein Mann, der Interesse an seiner Tochter gezeigt hatte. Einer der Entführer? Oder vielleicht zumindest ein Zeuge?
"Dieser Mann...", fiel der Fürst dem Alten unwirsch ins Wort, "Kennst du ihn? Weißt du, wie er aussieht? Wo er zu finden ist?"

Faustus nahm nicht das beste Pferd im Stall. Kein Händler besass wertvolle Pferde.
Wie abgemacht, machte er sich daran, sich zu jenem Ort zu begeben, wo Grim ihn hingeschickt hatte. Auf seinem Weg dort hin, dachte er darüber nach, was er nun tun sollte. Klar, wenn er die Bauern infiltrieren konnte, konnte er sich auf deren Seite schlagen. Doch was, wenn Grim dahinter kam? Dann würde er seine Beine in die Hand nehmen müssen. Ganz sicher.
Er erreicht die Ortschaft, als die Sonne schon fast untergegangen war. Er steuerte ein kleines Lokal an, da er hoffte, dort Kontakt zu den Aufständischen aufnehmen zu können.


"Tut mir leid. Ich habe mir den Mann nicht so genau angesehen. Und soweit ich weiss hab ich ihn vorher noch nie hier gesehen", musste der Herr passen.
"Er trug einen Bart, glaube ich."

Es waren nicht unbedingt viele Menschen in dem kleinen Lokal und doch fühlte man sich dort unglaublich beengt. Die Laune war ungemein angespannt man konnt sie förmlich greifen. Die Gäste hatten sich in kleinen Grüppchen zusammengesetzt und murmelten mit gesenkten Stimmen.
Als sich die Tür öffnete und Faustus in das Lokal trat, lagen auf einmal alle Augen auf ihm.

Ein Bart, vielleicht. Das war alles? Na großartig! Das war doch eine Spur, mit der man etwas anfangen konnte. Oswin schnaubte unwirsch. Der Hinweis war es nicht einmal wert, dem Mann ein Bier auszugeben. Er verschwendete hier nur seine Zeit. Und Zeit zu verlieren konnte er sich nicht leisten. Zeit war kostbar. Wer konnte schon sagen, was diese Kerle mit seiner Tochter anstellten, wenn sie sie nicht schnell fanden?
"Kann mir irgendwer anderes mehr über den Kerl sagen?", hakte Oswin mit merklich strapazierter Geduld nach. Wenn nicht dieser Alte, dann vielleicht ja der Wirt? Oder einer der anderen Gäste?

Faustus fand es nicht wirklich toll, dass er offenbar so viel Aufmerksamkeit auf sich zog. Er liess den Blick kurz schweifen und trat dann an den Tresen.
"Ein Bier, bitte…", sagte er zum Wirt.


Jemand konnte es. Es war ein alter, klappriger Mann, der tagein, tagaus in diesem Gasthaus sass. Er trat zu dem Fürsten, verneigte sich und begann dann den Mann zu beschreiben, der mit der Tochter des Fürsten das Gespräch gesucht hatte.

Der Wirt starrte ihn lediglich missgünstig an und stemmte eine Hand auf das Tresen.
"Für wen arbeitest du?", fragte er. "Die Rebellen oder den Grafen?"
Immer noch starrte ein Großteil der Gäste ihn an, ein paar tuschelten hinter vorgehaltener Hand, andere wandten sich ab und starrten kopfschüttelnd in ihren Bierkrug.

Er legte den Kopf schief und schaute sich noch einmal im Gasthaus um. Offenbar war er wie von Grim prophezeit, mitten im Wespennest gelandet.
"Ich arbeite weder für die einen, noch für den andern", sagte er laut genug, dass er in der angespannten Ruhe, die hier herrschte, gut zu hören war.
"Aber wenn ich eine Seite wählen müsste, so würde ich mich keinesfalls dem Grafen anschliessen."

Der Gastwirt sah ihn weiterhin prüfend an und schnaubte verächtlich.
"Nein?", erkundigte er sich. "Von wo kommst du dann? Von den Rebellen aus dem Süden? Wollt ihr uns jetzt auch noch niedermähen? So habt ihr es ja bei allen anderen auch gemacht! Tretet uns bei oder wir mähen euch nieder, so macht ihr das doch, richtig?!"
Ein paar der Leute schienen ängstlich bei dem Gedanken, andere aber funkelten den Neuankömmling düster an.

Er schüttelte den Kopf.
"Ich arbeite nunmal nicht gern für die blütigen Adligen, die selber keinen Finger krümmen. Und eigentlich bin ich nicht auf Ärger aus. Wenn ich dann also bitte ein Bier haben darf?"
Er seufzte tief.

Der Wirt beäugte ihn noch einmal misstrauisch, gab dann ein verächtliches Schnauben von sich, bevor er einen Krug mit Bier füllte.
"Bezahlt wird im Vorraus", erklärte der Wirt jedoch. "Hier kommt kaum noch jemand vorbei und die Leute haben kein Geld. Zechpreller kann ich mir im Moment nicht leisten."

"Ach, das ist kein Problem", winkte Faustus ab und legte ihm das Geld auf den Tisch.
"Ich danke für die Gastwirtschaft", sagte er, nahm den Krug an sich und setzte sich erst einmal. Während er trank, versuchte er etwas von den leisen Gesprächen zu hören.

Zu belauschen stellte nicht zwangsläufig ein fruchtbares Unterfangen dar, denn das plötzliche Erscheinen eines völlig Fremden schien die Leute nur noch misstrauischer zu machen. Sie rückten weit enger zusammen und mehr als vereinzelte Wortfetzen waren nicht herauszuhören. Etwas von "waren wieder da", "kommen immer näher" und "wieder ein Treffen".
Als letzteres erwähnt wurde meinten einige "vielleicht", andere "Schwachsinn" und wieder andere "keine Wahl". Schließlich erhob sich einer der Männer, der reichlich benommen wirkte, schüttelte nervös den Kopf und machte sich daran, die Kneipe zu verlassen.

Als der Fürst der Nordermark immer ungeduldiger wurde, blickten die meisten betreten zur Seite, als würden sie hoffen, sie würden so dem Blick des Fürsten zu gehen. Dann schließlich erhob sich vorsichtig eine Hand. Eine junge Schankmaid blickte vorsichtig zu Oswin.
"Verzeiht, mein Lord", sprach sie vorsichtig. "Ich weiß nicht viel über den Mann, aber...die Leute die Eure Tochter entführt haben...ich habe sie beobachtet. Ich...glaube, sie waren nicht aus dieser Gegend."

Bärtig, nicht aus der Gegend... das waren großartige Hinweise. Es bräuchte einen Zauberer um damit etwas anfangen zu können. Aber einen solchen hatte Oswin nicht zur Hand. Er musste sich auf seinen Verstand verlassen. Aber der brachte ihm wenig, wenn er keine Anhaltspunkte hatte.
"Wir reiten weiter", verkündete er an seine Entourage gewandt, "Richtung Jenienburg." Wenn die Entführer Fremde waren, dann würden sie sich an den Fluss halten müssen. Zu leicht konnte ein Mann seinen Weg in den Weiten der Nordermark verlieren und der Fluss bot die einzig zuverlässige Landmarke. Aber der Fluss führte nach Jenienburg.
Schwerfällig stemmte der Fürst sich in die Höhe, versuchte dabei den schmerzhaften Stich, den sein Bein ihm versetzte, zu ignorieren. "Wenn noch jemandem etwas einfällt, dann soll er sich an jeden Mann der Garde wenden, der ihm begegnet", verkündete er mit lauter Stimme, die mühelos durch den gesamten Raum trug und ihm die Aufmerksamkeit jedes Mannes sicherte, "Ich schwöre: den, der einen Hinweis liefert, welcher mir meine Tochter zurück bringt, mache ich zu einem reichen Mann!"

Während der Fürst die Nordermark durchkämmte und sein Sohn sein bestes tat, der Lage im Westen Herr zu werden, fuhr in der Stille der Nacht ein kleines Boot den Fluss hinunter. Zur Küste hin wurde die Landschaft flacher, war überwiegend von Wiesen dominiert und man konnte überaus weit sehen. Umso mehr schätzte der Kapitän den Schutz der Nacht, letztenendes hatte er sich wahrscheinlich auf den gefährlichsten Schmuggel seines Lebens eingelassen. Doch wenn es klappen würde, so würde man ihn reichlich entlohnen. Und bevor irgendjemand etwas von seiner Anteilnahme erfuhr, wäre er weit weg von diesem Ort.
Dunkel erhoben sich die Mauern der Hafenstadt Jenienburgs vor ihnen. Was die Tore der Stadt für die Reisenden zu lande taten, tat hier ein stählernes Gatter, das nachts selbstverständlich heruntergelassen war und bewacht wurde. In der Regel wurden die Schiffe hier erst einmal gefilzt. In der Regel.
"Wer da, zu so später Stunde?!", rief eine Wache mit einer Fackel in der Hand zu ihm herunter.
"Der Fischer Tomen, mit einer Lieferung Lachs aus dem Norden."
Die Wache sah kurz zu ihm herunter und beriet sich mit einem siner Kameraden. Kurz darauf wurde das Gatter geöffnet. Schmuggeln konnte so einfach sein, wenn die Wachen auf der eigenen Seite waren. Doch bevor er sich von der Ware trennte, entschied er sich, der Tochter Grim Helforts noch einen kleinen Besuch abzustatten, bevor sie sich von ihr trennen würden. So machte er sich also auf dem Weg zu Ircias Quartier.
"Ihr könnt Euch freuen, Milady", sprach er, als er die Tür aufschloss. "Wir sind an unserem Zielort angelangt."

rcia war kurz vorm Verzweifeln. Sie hatte versucht zu schlafen, doch gelungen war es ihr nicht wirklich. Sie hatte versucht durch Ritzen etwas zu sehen, doch auch das war ihr nicht vergönnt gewesen. Sie hatte keine Ahnung, wohin sie gebracht wurde.
Als die Tür sich öffnete, schreckte sie auf. Sie gab sich Mühe, nicht beunruhigt zu wirken.
"Solange ich nicht urplötzlich vor den Toren meiner Heimatburg stehe, werde ich mich wohl kaum freuen können", antwortete sie trocken.
Natürlich interessierte es sie auch irgendwie, wer es wagte, sie zu entführen. Und gewissermassen hatte sie Angst davor.


Lothar hatte Hartholm mit einem Teil seines Gefolges unter dem Vorwand verlassen, dass er ebenfalls nach der Tochter suchen würde. Selbstverständlich hatte er auch vor, seine Augen und Ohren offen zu halten, denn was wäre das für ein Vorteil, wenn sie diejenigen waren, die die Gesuchte fanden?
Sein eigentliches Vorhaben war natürlich, die Situation zu nutzen, seinem Bruder einen Besuch abzustatten. Sie waren einige Tage unterwegs, als sie das Lager schliesslich an einem Morgen mit erhobener Flagge erreichten.
Lothar fiel gleich auf, dass Dared seine Befehle offensichtlich missachtet hatte. Doch irgendwie erstaunte es ihn nicht wirklich.
So elegant wie möglich, schwang sich der Erstgeborene von seinem Pferd, als sie im Lager waren. Dared war selbstverständlich über seine Ankunft bereits informiert.
"Guten Morgen, Bruder", grüsste Lothar ihn.