[RPG-Thread] Die Stunde der Krähen

Nun lachte Grim auf, vielleicht nicht mit der sonstigen Ausgelassenheit, aber doch deutlich besser gelaunt.
"Tut das, die Geschichte will ich nur zu gerne hören", unterstützte er den Vorschlag. "Am Ende habt Ihr mich vielleicht gar nicht vor einem heruntergekommenen Söldner, sondern vor einer ganzen Legion bis an die Zähne bewaffneter Feinde verteidigt!"
Einen Moment genoss Grim den Gedanken, doch bald kehrte er wieder zum Ernst der Situation zurück.
"Wie dem auch sei, Ihr werdet wohl viel Zeit haben, Eurer Geschichte Würze zu verleihen", erklärte er. "Die Besänftigung des Bauernaufstandes wird mehr Zeit in Anspruch nehmen, als ich zunächst erwartet hatte. Die Situation ist gefährlich, aber seid unbesorgt. Solange Ihr hier seid, kann Euch nichts passieren."

Beinahe paralysiert von diesem Kuss, bemerkte Fafnir Jolandas Stolpern erst, als es fast zu spät war. Dennoch konnte er reagieren und sie um den Oberkörper packen.
Sein Herz raste. Sie hatte ihn geküsst? bei den Göttern …
"Jolanda. Sachte", sagte er leise und schob dann die Tür für sie auf.
"Du musst dich hinlegen … Sicher, dass alles in Ordnung ist?"
Er versuchte einigermassen bei klarem Verstand zu bleiben.


Faustus nickte und hielt Grim dann auch nicht mehr länger auf. Als er wieder alleine war, wusste er nicht, was er tun sollte.
Viel mehr als nur rumliegen konnte er sowieso nicht. Dennoch, er war unruhig, weil er unnötige Zeit verlor.

Von dem Abend an, an dem Lothar Fürst Oswin zum ersten Mal Ircia traf, verging etwa eine Woche, bis der Patrizier von Oswins Vorschlag erfuhr. Er war gerade dabei die Einnahmen der Schreinerprodukte aus Walding zu prüfen, als sein Diener einen Boten ankündigte. Und meinte, dass es dringend sei. Lucius kam zu dem Schluss, dass die Botschaft nur von Lothar stammen konnte. Doch seine Erwartungen waren nicht allzu groß. Immerhin hatte er es mit Oswin Helfort zu tun.
Als er die Nachricht des Boten, der völlig außer Puste war, durchlas, sah er sich in seinen Vermutungen bestätigt. Oswin wollte also mit ihm persönlich verhandeln. Auf Augenhöhe. Nichts anderes hatte er vom Oswin Helfort erwartet. Er würde keinesfalls Hals über Kopf seine Tochter mit Dared verheiraten. Er hatte sich bereits gedacht, dass dies ein fruchtloses Unterfangen werden würde.
Andererseits...warum nicht die Gelegenheit beim Schopfe packen? Wenn Oswin auf Augenhöhe verhandeln wollte: Warum nicht? Er wäre nicht Patrizier, hätte er sich nicht aufs Verhandeln verstanden.
"Was haltet Ihr davon, Rhea", wandte er sich an seine Beraterin, die auf einem Stuhl an seiner Seite Platz genommen hatte. "Eine Verhandlungsgespräch mit Oswin Helfort von der Nordermark. Seid absolut ehrlich: Wie klingt der Gedanke?"

Und wieder lag sie Fafnir in den Armen. Wie, das hätte Jolanda nicht zu sagen vermocht. Doch sie bereute es nicht. Es war gut, dass er da war. Er würde nicht zu lassen, dass ihr irgendetwas passierte. Er kümmerte sich um sie.
"Ich glaube nicht", antwortete sie lächelnd auf Fafnirs Frage, ob alles in Ordnung sei, "Aber du kannst ja kaum mit mir in mein Zimmer kommen. Das wäre doch sehr... unangemessen, oder? Bis ins Bett werde ich es wohl alleine schaffen müssen..."

Rhea hatte ausführlich darüber nachgedacht. Schliesslich ging es doch um einige wichtige Entscheidungen.
"Nun … ich denke nicht, dass es schaden wird", meinte sie schliesslich. "Es wird gut tun, wenn Ihr und Helfort zusammensitzt und euch ausdiskutiert. Die Situation ist schon lange genug angespannt. Gespräche können manchmal Missverständnisse lösen."


Etwas mehr als nötig gewesen wäre, drückte Fafnir sie an sich. Natürlich war es unangemessen, sie zu ihrem Bett zu begleiten. Doch sollte er riskieren, dass sie bis dahin stolperte und womöglich hinfiel?
Er atmete tief durch, schob die Tür ganz auf und hob das Mädchen einfach auf seine Arme, um sie zu ihrem Bett zu tragen.
Mit grossen Schritten und dennoch behutsam kam er zum Bett und legte sie dort nieder.
"Ich werde dafür sorgen, dass eine Zofe kommt und euch beim auskleiden hilft", sagte er.

"Nein! Nicht!", rief Jolanda erschrocken aus und packte Fafnir beim Ärmel. Dass eine ihrer Zofen sie in diesem Zustand sah war das letzte, was sie wollte. Dienstboten tratschten nun einmal. Wenn Fafnir jetzt eines der Mädchen zu ihr schickte, dann würde am nächsten Morgen der ganze Hof wissen, wie betrunken sie gewesen war. Und diese Blamage würde sie nicht überleben. "Ich... ich komme allein... zurecht."
Das war eine glatte Lüge. Und das wussten sie beide. Es war schon normalerweise kompliziert genug, ohne Hilfe die Kleider eine Dame an- oder abzulegen. Betrunken wie sie war war es ein Ding der Unmöglichkeit. "Könntest du mir nicht... halt, nein! Das war dumm. Verzeih mir..." Hatte sie eben tatsächlich Fafnir fragen wollen, ob er ihr aus ihren Kleidern half? Einen Mann? Das war vollkommen ausgeschlossen. Ein Mann durfte sie nicht unbekleidet sehen. Aber was sollte sie dann tun? Es war zum verzweifeln. Warum hatte sie nur so viel getrunken? Jolanda spürte, wie ihre Augen feucht wurden...

Er sah sie an und wusste, dass wohl gerade sie ein grosses Problem hatte. Jolanda, die stets darauf bedacht war, korrekt und gut erzogen zu sein, stand wohl vor der Misere ihres Lebens.
Natürlich war auch Fafnir gut erzogen und er wusste ganz genau, dass es sich einfach als Mann nicht geziemte einer Frau beim entkleiden zu helfen - wenn es nicht gerade seine Frau war. Aber Jolanda war nunmal nicht seine Frau.
"Ich helfe dir", sagte er dennoch. "Ich schiebe einfach den Riegel vor der Tür, damit niemand einfach reinkommt … und ich … " Er atmete tief durch. "Ich … werde einfach nicht hinschauen."

"Wie recht Ihr doch habt, Rhea", stimmte Lucius ihr mit zufriedenem Lächeln zu, trat zu einem Regal und holte eine Pergamentrolle heraus. "Und ich kenne bereits den perfekten Ort für unsere Zusammenkunft."
Er trat an seinen Arbeitstisch und breitete eine Karte aus, die sowohl Ornenberg als auch die Nordermark umfasste.
"Der Skallien hat seit jeher die Grenze zwischen unseren Provinzen gebildet", erklärte Lucius. "Schon lange bevor meine Familie hier für Ordnung sorgte. Doch es gibt eine Stelle, deren Position in diesem Konflikt stets vakant geblieben ist."
Er deutete an die südliche Ende der Karte, wo der Skallien ins Meer mündete. Oder besser: Wo es seine zwei Arme taten. Wenige Kilometer von der Küste entfernt teilte sich der Skallien in zwei Flussarme auf, die ein kleines Gebiet umrahmten.
"Die Provinz Euphram", erklärte Lucius. "Dadurch, dass der Skallien als Grenze zwischen Ornenberg und der Nordermark beschrieben wurde, war die politische Zugehörigkeit dieses Ortes lange Zeit ungeklärt. Da die beiden Provinzen sich nicht einigen konnten, wurde der Landstrich zu einer Pufferzone erklärt, deren Einwohner in dem Konflikt neutral bleiben, auch wenn sie noch unter königlicher Aufsicht stehen."
Zufrieden faltete er die Hände ineinander.
"Oswin Helfort würde niemals zustimmen, persönlich nach Merrisholt zu kommen, um mit mir zu verhandeln. Genausowenig werde ich mein Gesicht dadurch verlieren, dass ich den weiten Weg nach Hartholm persönlich gehe. Nein, wir werden unsere Verhandlung auf neutralem Boden führen, umgeben von Skallien, der unsere Länder seit jeher voneinander trennte. Könnte es einen besseren Ort für eine Vertragsschließung geben?"

Fafnirs Vorschlag brachte Jolanda beinahe zum Weinen. Vor Scham einerseits, andererseits aber auch vor Rührung. Er war so fürsorglich zu ihr. So ein guter Mann. Sie hätte ihn mit Freuden als den ihren genommen, es genossen, dass er sie auszog, voll freudiger Erwartung auf das, was kommen würde. Aber Fafnir war nicht ihr Mann, nicht einmal ihr Verlobter und so war diese bizarre Situation überschattet vom Aufeinanderprallen zweier mächtiger Regungen. Doch was hätte sie tun sollen? Würde sie das Kleid ruinieren, ihre Zofen wüssten genauso gut was vorgefallen war, als hätte sie sie direkt rufen lassen. Stumme Tränen – welchem Gefühl sie entsprangen hätte Jolanda nicht sagen können – rannen über ihre Wangen als Fafnir die Schnürungen auf ihrem Rücken löste und sie war froh, dass er ihr Gesicht in diesem Moment nicht sehen konnte. Schließlich jedoch glitt das Kleid zu Boden und Jolanda stand nur in Hemdchen und Unterrock vor Fafnir. Natürlich war das immer noch einiges an Stoff, aber ungeachtet dessen kam sie sich furchtbar nackt vor. Es war alles so falsch!
"Danke", murmelte sie, sich ihm wieder zuwendend, und versuchte damit deutlich zu machen, dass er nun gehen konnte. Sie wollte, dass er so rasch wie möglich verschwand. Und gleichzeitig wünschte sie doch, er würde die ganze Nacht bei ihr bleiben.

Langsam nickte Rhea.
"Das ist ein äusserst kluger Vorschlag, mein Herr", sagte sie. "Ich hätte dasselbe gesagt. Oswin Helfort wird gute Gründe brauchen, um dort nicht hin zu kommen."


Sein Herz raste. Natürlich hatte Fafnir schon die eine oder andere Frau bei sich gehabt. Dienstmädchen, Huren. Doch Jolanda war etwas Anderes. Etwas Besonderes. Es unterlag alleine der Gnade seines Onkels, ob er sie heiraten durfte oder nicht. Und nun stand er da und hatte sie soeben ausgezogen, als wäre dies ihre Hochzeitsnacht.
Als sie sich zu ihm umwandte, waren ihre Wangen gerötet. Gewiss, der Alkohol und die Scham, doch vielleicht war auch sie zumindest ein bisschen erregt?
Fafnir rang mit sich. Würde er heute Nacht hier bleiben und jemand würde es bemerken, dann wäre ihr und sein Ruf geschädigt. Er durfte ihr das nicht antun.
Dennoch, er packte sie am Nacken und an der Hüfte, zog sie an sich heran und küsste sie mit all seiner aufgestauten Leidenschaft.

"Exakt", stimmte Lucius zu. Und noch aus zwei anderen Gründen war dieser Ort perfekt. Er war im Süden, nicht allzu weit entfernt von Westernau, wo die Unruhen tobten. Die angespannte Situation würde Oswins Position schwächen und ihm eine gute Verhandlungsbasis liefern. Gleichzeitig war er weit weg vom oberen Skallien. Weit weg von Dared. Auch das konnte nur zu seinem Gunsten sein.
"Ich werde umgehend ein Schreiben aufsetzen", erklärte er und zog ein Pergament sowie eine Feder hervor. "Lothar kann bei der Gelegenheit gleich mit Fürst Oswin reisen. Seine Präsenz bei den Verhandlungen wird von großem Nutzen sein. Und er hat genügend Zeit, das Vertrauen der Helforts zu gewinnen."
Im Gegensatz zu Dared konnte Lothar einen guten Eindruck machen. Er war klug genug, seine Chancen zu nutzen, aber gleichzeitig bedacht genug, sie nicht durch vorschnelles Handeln zu zerstören. Im Gegensatz zu manch anderen.

Jolanda wurde von Fafnirs ungestümem Vorstoß überrascht und hätte wohl erschrocken aufgeschrieen, hätte Fafnir ihren Mund nicht mit seinen Lippen verschlossen. Und es war ja so, dass sie sich daran gestört hätte. Nachdem sie den ersten Schock überwunden hatte ließ Jolanda sich bereitwillig auf Fafnirs Liebkosungen ein, erwiderte diese, drückte sich an seinen Körper. Dass sie kaum etwas an hatte war ihr in diesem Moment gleich, sie bemerkte es nicht einmal. Ihr Herz pochte wie wild in ihrer Brust, als wolle es aus dieser hervor springen und ihr wurde gleichzeitig heiß und kalt. Als sie die Lippen schließlich von den seinen löste war sie ganz außer Atem. Ihre Stimme zitterte als sie den sprach. "Du musst jetzt gehen, Fafnir", flüsterte sie ihm zu, doch in ihren Augen glühte das Versprechen, dass dies nicht das letzte mal gewesen war, dass sie sich so nahe waren.

"Das ist gut … Es ist auch gut, dass Dared anderweitig beschäftigt ist", meinte Rhea.
Mehr hatte sie dazu nicht mehr zu sagen.


Er blickte sie an und strich ihr mit der Hand noch einmal über die Wange.
"Gute Nacht Mylady…", sagte er leise und verliess dann das Zimmer.
Er hoffte, dass niemand etwas gesehen hatte.

"Es würde mich zumindest wundern, wenn er unserem Ruf auf die Entfernung noch schaden könnte", kam es schmunzelnd von Lucius, während er die Nachricht niederschrieb. Er achtete darauf einen neutralen, diplomatischen Ton ohne Zweideutigkeiten zu bewahren. Man musste ja kein unnötiges Öl ins Feuer gießen.
Einiges würde in den nächsten Wochen erledigt werden müssen, bevor das Treffen stattfand. Er musste sich genau überlegen, was er Oswin Helfort anbieten und was im Gegenzug dafür verlangen konnte. Die Hochzeit war im Großen und Ganzen eher nebensächlich, bietete aber einen hervorragenden Anlass. Insgeheim hoffte er, dass Oswins Tochter genauso stur und eigensinnig war, wie Oswin selbst. Es würde Dared gut tun, täglich mit Herausforderungen konfrontiert zu werden. Das würde vielleicht besser funktionieren, als jeder Tadel, den er für seinen zweiten Sprössling hatte.


Grims Miene war alles andere als erfreut, als er zurück in Westernaus Burghof geritten kam. Es waren gerade mal anderthalb Wochen vergangen, seit er im Süden angekommen war. Die Zeit hatte er intensiv genutzt, um sich umzuhören und sich ein Bild von der Situation zu machen. Doch die Befürchtungen seines Vaters schienen sich bestätigt zu haben.
Die Bauern auf die er getroffen war, reagierten in den meisten Fällen ängstlich und sogar weitgehend misstrauisch. Ihr abweisendes Verhalten war ungewöhnlich. Auch wenn viele Fürsten es mit Argwohn betrachteten, so hatte er sich stets rühmen können, einige Freunde unter dem einfachen Volk zu haben. Doch viele der Männer, die er einst geschätzt hatte, waren auf einmal unauffindbar. Zunächst hatte er Angst gehabt, sie könnten übergelaufen sein. Doch auf einem Hof hatte sich ihm ein weit düstereres Bild geboten.
So war er keineswegs guter Dinge, als er in den großen Saal des Grafen Norell schritt, um sich mit diesem zu beraten.

Valimar Norell hatte die Rückkehr des jungen Fürstensohns bereits mit Sehnsucht erwartet, interessierten ihn doch nicht nur die Erkenntnisse, die dieser über die Bauernaufstände gewonnen haben mochte, sondern hatte er auch selbst diesmal etwas zu präsentieren, das vielleicht einen Teil der Schande, die die widrigen äußeren Umstände ihm aufgeladen hatten, wieder gut machen konnte. Sein eigener Schmied hatte ihm zunächst wenig über die Herkunft der erbeuteten Söldnerwaffen zu sagen vermocht, außer, dass sie aus gefaltetem Horvanerstahl geschmiedet waren und die Schmiedemarken des Herstellers ihm unbekannt waren. Er hatte jedoch auf einen Meister in Arfenheim verweisen können, der sich gut mit solcherlei Dingen auskannte und Valimar hatte nicht gezögert, besagtem Schmied einen Boten sowie eine dringliche Nachricht zu senden. Und dem Schicksal sei Dank, denn dieser Schmied hatte ihm tatsächlich weiter helfen können. Nun brannte Valimar darauf, Grim Helfort seine neuen Erkenntnisse zu berichten und so ließ er diesem kaum Zeit, auch nur Platz an der hohen Tafel zu nehmen, ehe er zu berichten begann.
"Ihr werdet euch freuen, Herr, zu erfahren woher die Klingen stammen, mit denen man dieses schändliche Attentat auf euch verübte", begann er, "Ich konnte unter einigem Aufwand einen Schmiedemeister auftreiben, dem die Male auf den Waffen bekannt sind und er berichtete mir, dass er sich sicher sei, dass sie einem Meister aus Nuinbruck zuzuordnen sind. Zumindest die Waffen also, mit denen die Söldner ausgestattet waren, stammen zweifelsfrei aus Ornenberg."

Es hatte gedauert, doch letztendlich hatte sich das Warten gelohnt. Faustus war vor zwei Tagen das erste Mal wieder aus dem Bett gekommen. Die Wunde schmerzte zwar noch immer, doch sie war sichtbar am verheilen und der junge Mann hatte einfach keine Geduld mehr gehabt.
Voller Freude hatte er das Angebot angenommen, sich anständig zu waschen. Ihm stand heisses Wasser und sogar Seife zur Verfügung. Er durfte sich rasieren und eine Magd versuchte ihr Bestes, um seine Haare zu entfilzen und Läuse zu entfernen.
Faustus fühlte sich wie neu geboren, als er sauber in frische Kleidung steigen durfte und anschliessend zu essen bekam, was auch immer er sich wünschte. Er war sich sicher, dass es die einzig richtige Entscheidung gewesen war, den Prinzen zu retten.


Ircia war wütend. Drei Tage nach dem Essen hatte sie erfahren, warum dieser Meliorsohn hier war. Sie hatte die brave Tochter spielen wollen und hatte nicht nachgehakt, welche Geschäfte im Gange waren.
An diesem Morgen kämmte ihre Zofe ihr schon seit gefühlten zehn Stunden das Haar und erzählte den neuesten Tratsch. Unter anderem, dass der Herr offensichtlich mit dem Gast auch Hochzeitsverhandlungen führte. Es sei zwar nur ein Gerücht und sowohl Jolanda wie auch die Fürstentochter selbst waren im Gespräch.
"Ich soll einen Melior heiraten?!", fuhr sie ihre Zofe an, als wäre jene Schuld an Lothars Besuch. "Wenn es wenigstens der erstgeborene Sohn wäre! Nein selbst dann … das …"
Ircia schnaubte, fuhr von ihrem Stuhl hoch und stellte sich vor ihren Spiegel, den ihr Vater ihr einst geschenkt hatte.
"Nun, es hätte sicherlich auch Vorteile", seufzte ihre Zofe. "Ihr wärt nicht allzu weit weg und könnt sicher öfters hierher kommen, als wenn Ihr einen Mann von weit her kriegt."
"Das ist mir doch egal! Er verhandelt mit einem Melior! Mein Vater hasst diese … Leute. Warum sollte er überhaupt darüber nachdenken?!"
"Weil Euer Vater ein intelligenter Mann ist. Gerade dieser Zwist zwischen den Familien kann mit einer Heirat sicherlich gebändigt werden."
"Was verstehst du schon davon?! Geh! Jemand soll mir ein Pferd satteln. Ich gehe ausreiten."
"Aber …"
"Nichts aber. Du tust was ich dir sage!"
Erst als sie alleine war, beruhigte sich die Fürstentochter ein wenig. Sie rief eine andere Magd zu sich, die ihr aus ihrem Gewand half, damit sie ihre Reitkleider anziehen konnte.
Eine Weile später war sie unten im Stall und schwang sich in den Sattel des Pferdes. Natürlich hatten gewissenhafte Männer dem Fürsten Bescheid gesagt, dass die Tochter auszureiten gedachte und wollten sie nicht gehen lassen, bevor es ihr erlaubt war.

Der Zufall wollte es, dass auch Oswin an diesem Morgen auszureiten gedachte. In seinem Fall war es freilich die Pflicht, die ihn aus Burg Hartholm trieb, weniger das Vergnügen. Es war Gerichtstag und der Fürst gedachte, in diesem Monat in einer der kleineren Ansiedlungen nahe Hartholms selbst zu Gericht zu sitzen. Er hatte Berichte über ein überaus scheußliches Verbrechen von dort erhalten und es konnte der Moral nur dienlich sein, wenn er sich persönlich damit befasste.
Der Wunsch seiner Tochter, sich ebenfalls zu Pferd aus der Burg zu begeben hatte ihn erreicht als er eben inbegriffen war, sich für den Ausritt bereit zu machen. Unter normalen Umständen hätte er selbstverständlich Ircia zu sich zitiert, doch da er ohnehin auf dem Weg in die Ställe war entschied er sich, die Formalitäten beiseite zu lassen und direkt dort mit seiner Tochter zu sprechen. Denn wenngleich ihn ihr plötzlicher Wunsch nach einem Ausflug überraschte, so gab es im Grunde doch nichts, was dagegen sprach.
Als Oswin den Stall erreichte fand er Ircia bereits im Sattel sitzend vor. "Du möchtest also ausreiten, Ircia?", grüßte er sie und es gelang ihm nicht, eine gewisse Verwunderung aus seiner Stimme fern zu halten. Die Entscheidung seiner Tochter war sehr plötzlich gefallen. "Wo soll es denn hin gehen?"

Eigentlich hatte Ircia gehofft, die treuen Wachen ihres Vaters vor dessen Ankunft überzeugen zu können, sie einfach gehen zu lassen. Aber einer der anwesenden Hauptmänner hatte stur die Zügel ihres Pferdes gepackt und in keinster Weise auf ihre Befehle reagiert.
"Ja ich möchte ausreiten", sagte sie schnippisch, als ihr Vater bei ihr war. "Wohin ist mir im Moment egal, doch ich denke darüber nach eine mehrtägige Reise zu unternehmen. Ich möchte dem Skalien bis hinunter zum Meer folgen."
Noch während sie sprach wurde ihr bewusst, wie trotzig sie klingen musste.

Oswin hätte nicht sagen können, was an Ircias Antwort ihn am meisten verstimmte. Der Tonfall? Die Dauer des geplanten Ausflugs? Oder die Weigerung, ihm ein Ziel zu nennen? Seine Bereitschaft, Ircia ziehen zu lassen war jedenfalls augenblicklich verschwunden.
"Was ist los mit dir?", fragte er aufbrausend, "Wozu willst du ans Meer? Denkst du, ich lasse dich ohne eine Erklärung, wohin und wie lange, einfach los reiten?"

"Ich war schon lange nicht mehr am Meer!", begründete sie ihr spontanes Vorhaben.
"Ich muss frische Luft schnappen, raus aus diesem …"
Sie blickte der Burgmauer hoch und schnaubte. "Aus diesem Loch. Ist ja schliesslich wohl meine letzte Gelegenheit so etwas zu unternehmen."
Wenn die Wahl der Braut für diesen Melior auf sie fiel, dann würde sie den Rest ihres Lebens wohl mit Geldzählen oder ähnlichem verbringen.
"Ist es so tragisch, dass ich das Meer und den Fluss sehen möchte?"

Grims wusste nicht, was der Graf sich dabei gedacht hatte, eine solche Nachricht mit einem derartigen Strahlen zu verkünden. Als wenn er sich nicht darüber im Klaren war, was das bedeuten könnte.
"Seid Ihr Euch da auch ganz sicher?", erkundigte sich Grim. "Wenn das stimmt, was Ihr mir da erzählt, ist es keinesfalls Grund zur Freude. Das könnte bedeuten, dass die Melior hier ihre Finger im Spiel haben."
Angespannt faltete er die Hände ineinander. Dann hatten diese Pfennigfuchser also seinen Tod gewollt? Steckten sie dahinter? So gerne er auch persönlich mit diesem Wissen nach Merrisholt einmarschiert wäre, so hielt das gute Zureden seines Vaters ihn davon ab. Waffen aus Ornenberg waren noch kein Beweise, sie konnten gestohlen sein. Oder verkauft. So wie er die Winkelzüge der Melior kannte, würden sie sich dort herausreden können.

"Letzte Gelegenheit? Was soll der Unsinn?", grollte Oswin, verwirrt von der Aussage seiner Tochter. Und dann ging ihm plötzlich ein Licht auf. "Ist es wegen Herrn Lothars Ansinnen? Das ist doch Irrsinn! Ich habe in nichts eingewilligt, was er vorgeschlagen hat und selbst wenn ich entscheiden sollte dich zu verheiraten, dann wäre es kaum das Ende deines Lebens. Denkst du, die Meliors könnten es sich leisten, eine Helfort schlecht zu behandeln? Du hättest auch in Merrisholt ein gutes Leben."
Er hielt inne, merkte er doch, dass er sich wieder einmal in Rage geredet hatte. Das hätte er nicht tun sollen. Das war wenig fürstlich gewesen. Und gerade Ircia gegenüber, Ircia, seinem Sonnenschein. Er hätte sich von ihren Launen nicht derart aufbringen lassen sollen. "Du kannst ausreiten, wenn du das möchtest", erlaubte er ihr, wieder ruhiger, "Aber sei bitte bis zum Abend wieder zurück. Es ist unruhig im Süden, derzeit." Zwei Tage zuvor hatte Oswin die Nachricht von dem Anschlag auf Grim erhalten. "Bleib in der Nähe von Hartholm. Es ist zu deinem Besten."


"Verzeiht, mein Herr, aber das muss es keineswegs heißen", wagte Valimar einzuwerfen, "Die Klingen mögen aus Ornenberg stammen, aber die Söldner müssen es nicht. Sie haben sich vielleicht nur dort ausgerüstet. Und selbst wenn die Männer ebenfalls von dort stammen müssen die Meliors nicht die Auftragsgeber sein. Jeder könnte sie angeheuert haben, ein Ornenberger, ein Nordermarker oder auch jemand aus dem Süden. Ich würde keine vorschnellen Schlüsse ziehen, Herr." Komplikationen zwischen den Häusen Helfort und Melior war das letzte, was Valimar wollte. Egal wie der Konflikt ausgehen würde, egal ob es zum Krieg kam oder nicht, er würde dabei nur verlieren können.

Sie machte einen Schmollmund. Bis zum Abend wieder zurück sein.
Immerhin liess der Hauptmann nun endlich die Zügel ihres Pferdes los. Dass ihr Vater ihr seine halbe Armee als Gefolge mitgeben würde, war ja sowieso auch klar.
"Danke", sagte sie um des Anstandes Willen und ritt dann los. Wenn irgendwer sie begleiten sollte musste der halt schnell genug sein.
Während sie unter dem Tor hindurch ritt, fragte sie sich, wie weit sie in einem Tag kommen würde, wenn sie einfach dem Skallien entgegen ritt.

Grim legte nachdenklich die Stirn in Falten. Da hatte der Graf nicht ganz Unrecht. Vielleicht war es jemand ganz anderes gewesen. Aber wer wollte ihm den Tod wünschen? Und was hatten die Bauern damit zu tun?
"Wie dem auch sei", meinte er und schüttelte den Kopf, "ich fürchte dieses Rätsel müssen wir ein anderes Mal lösen. Falls es Euch möglich ist, Kontakt zu dem Schmied in Nuinbruck aufzubauen, so veranlasst nötige Schritte. Doch zunächst müssen wir unsere Aufmerksamkeit auf die Aufstände konzentrieren."
Er faltete eine Karte der Region aus und deutete auf einige Punkte.
"Ich habe einige der Gehöfte und kleinen Siedlungen in der Gegend besucht", erklärte er. "Diejenigen, die am nächsten zur Burg wohnen, scheinen uns noch loyal ergeben zu sein, doch auch sie sind zu verängstigt, um ein Wort über die Aufstände zu verlieren. Wer immer die Bauern lenkt, er scheint sich aufs Einschüchtern zu verstehen. Selbst einige Leute, die ich kannte, weigerten sich, mir genaue Auskunft zu geben. Einige waren auch verschwunden. Vielleicht haben sie sich den Aufständischen angeschlossen, vielleicht wurden sie als Geiseln genommen, das vermag ich nicht zu sagen. Doch auf dem Leynen-Hof", Grims Miene verdüsterte sich, "wurde ein Massaker angerichtet. Ein ehrbarer Bauer, den ich schon seit einigen Jahren kannte, wurde in seiner eigenen Wohnung aufs Übelste verstümmelt. Ich fand seine Leiche in den zerstörten Ruinen des Hofes."

Ircia ritt den ganzen Tag. Ihre beiden Wachen hatten schon längst gedrängt, umzukehren und sie wurden immer aufdringlicher. Der Grund war einerseits der, dass es inzwischen schon niemals mehr bis zum Abendessen reichen würde - und es schien ein stürmischer Regen aufzuziehen. Dunkelgraue Wolken türmten sich auf und ein heftiger Wind begann zu wehen.
Bald schon fielen die ersten Regentropfen.
Ircia aber hatte keine Lust nach Hause zurück zu kehren.
"Der Regen wird bald vorbei sein", meinte sie und ignorierte die skeptischen Blicke ihrer weitaus erfahrener Wachen.
"Essen wir etwas in der Gaststube. Ich möchte wissen, was das gemeine Volk zu bereden hat."