Eine unerwartete Reise

Nathanael legte die Stirn in Falten und dachte angestrengt nach.
"Was hast du, Nath?", wunderte sich Shia. Er ließ sie an seinen Gedanken teilhaben und sie weitete leicht die Augen. "Meinst du?"
Der Junge nickte. Shia seufzte leicht auf, als Nathanael sich etwas zu Ferik bewegte, so dass Shia auch mit ihm sprechen konnte, ohne dass Leaf es merkte.
"Nath vermutet, jemand könnte die Ratten dressiert haben", raunzte sie ihm zu.

Ferik blickte auf und musterte Nathanael, bzw. seinen Schal.
"Hm.. Das ist durchaus eine Möglichkeit", murmelte er dann und blickte zuerst einmal ganz kritisch in Leafs Richtung.
Da sogar ihm dann aber bald klar wurde, dass wohl kaum Leaf der Rattendresseur war, sah er sich dann auch sonst um, konnte aber nichts entdecken.
"Sollten diese Ratten nicht von selbst auf das Gold gekommen sein, so muss ihr Besitzer noch in der Nähe sein.."
Leaf kam nun auch wieder in ihre Nähe und hob die Augenbrauen.
"Wie meinen?"
"Nathanael ist der Meinung, dass jemand die Ratten, die das Gold geklaut haben, darauf dressiert hat."
"Ach.. ist er das", murmelte Leaf und runzelte schon ein wenig kritisch die Augenbrauen, da er nicht verstehen konnte, wie Ferik das dem Jungen so einfach und ohne grosse Gesten angesehen hatte.

Als Nathanael Leafs kritischen Blick spürte, wandte er nervös den Blick an.
"Sehr subtil", raunzte Shia Ferik zu. "Sag ihm doch gleich, dass er eine Fee in seinem Schal stecken hat!"
Nathanael deutete hastig in Richtung des Waldes und nickte dann zuerst Leaf und dann Ferik zu.

"Blablabla..", machte Ferik und Leaf dachte, dass das ihm gewidmet war, was ihn nicht sehr erfreute, aber wenigstens wieder von dem mysteriösen Umstand von Nathanaels Verständigung ablenkte. Er konnte es nun ebenfalls nicht verkneifen, genervt zu schauben, blickte dann aber ebenfalls in Richtung Wald.
"Aber wie auch immer, Bruder Nathanael hat schon recht. Wenn sich wirklich jemand hier befindet, dann muss er im Schutz der Bäume weilen. Wir sollten also dorthin nachschauen gehen."
Er nahm das eine Pferd an den Zügeln und lief damit los in Richtung des Waldes.

Nathanael blickte Leaf einen Augenblick nach, bevor er Ferik in die Augen schaute und auf das andere Pferd zeigte.

"Ja, schon klar", seufzte Ferik und ging das zweite Pferd ein wenig unsanft am Zügel packen, um es mitzuziehen.
"Hm.. Noch danke wegen vorhin", fügte er dann noch hinzu, als er wieder auf Naths Höhhe war.

Nath blickte überrascht auf.
"Moment mal...was hat der gerade gesagt?", fragte Shia sichtlich entsetzt. Nathanael blinzelte Ferik einen Augenblick verwundert an. Dann beantwortete er den Dank mit einem leichten aber doch ehrlichem Lächeln.
"Denk dir nur nicht zu viel dabei", flüsterte sie ihm zu.

Ob Ferik das Lächeln gesehen hatte, war nicht so klar, denn er blickte nun relativ starr gerade aus, Leaf hinterher, der nun ein relativ strenges Tempo angeschlagen hatte, um dem Goldmysterium schnell auf den Grund zu gehen. Denn er wollte definitiv nicht noch einmal so bald Feriks Gejammer und Gefluche in den Ohren haben.
So erreichten sie den Waldrand etwa nach etwa einer halben Stunde. Er war doch weiter entfernt, als man zuerst hätte meinen können.

Als sie am Waldrand ankamen, schwang Nathanael sich vorsichtig vom Pferd und musterte interessiert den gewaltigen Nadelwald. Als Shia seine großen Augen bemerkte fiel ihr wieder ein, dass Nath so etwas noch nie aus der Nähe gesehen hatte. Sie kicherte leicht. Manchmal konnte ihr kleiner Freund ganz schön ulkig sein.
"Ich stör dich ja nur ungern", wandte sie sich an ihn, "aber das, was ich gespürt habe, ist dort."
Nathanael blickte auf und schaute in die Richtung. An dem Zweig eines nahegelegenen Baums, ein paar Meter weiter hing etwas. Es sah wie ein Stofffetzen aus. Er schaute zu seinen Begleitern und deutete darauf.

Diesmal sahen beide sofort seinem ausgestrecktem Finger nach.
"Aha!", machte Ferik und streckte dann ebenfalls seinen Finger anklagend in die Richtung aus.
"Ein Tatbeweis!"
"..Ein Stofffetzen", stellte Leaf hingegen eher trocken fest und trat dann dahin, um ihn von dem Ast zu pflücken.
"Hm.. Ist relativ grobes Material, nicht sehr schön verarbeitet oder teuer.. aber definitiv von einem Kleidungsstück."
"Mäuse tragen aber keine Kleidung", bemerkte Ferik.

"Ach was du nicht sagst", brummte Shia, während Nathanael den Stofffetzen näher betrachtete.
Er fuhr nachdenklich über den rauen Stoff. Besonders teuer sah er nicht aus, wahrscheinlich von Hand gefertigt. Wer immer es gewebt hatte, hatte wahrscheinlich nicht viel Erfahrung oder Geschick darin.
Vorsichtig spähte er in den dichten Wald, konnte jedoch nichts erkennen.

"Eine gute Spur habt ihr da entdeckt, Bruder Nathanael", sagte Leaf und klopfte ihm kurz auf die Schulter, ehe er ebenfalls in den Wald spähte.
sehr angenehm war ihm das nicht, nicht nur, weil er immer noch hoffte, dass der Hauptmann mit den anderen bald auftauchen und sie dann suchen würde. Aber dennoch nahm er sich dann zusammen.
"Das beste ist, wenn wir uns aufteilen. Jemand bleibt hier am Waldrand mit den Pferden und dem Proviant und sichert von hier aus die Lage, während die jemand diese Richtung und jemand die andere absucht. Ich würde vorschlagen, Bruder Nathanael bleibt hier, wo es sicher ist und man eine gute Sicht hat, während wir den Wald erkunden. Sollte sich da tatsächlich jemand verstecken, so werden wir ihn als Gruppe mit den Tieren kaum erwischen."
"Auftrennen, ach ich weiss ja nicht", bemerkte Ferik.
"Macht Ihr euch etwa sorgen um Euer restliches Geld und die eigene Haut Sorgen, herr Wegener?", erwiderte Leaf inzwischen doch langsam genervt ab Feriks ständig hinderlichen Art.
"Pff.. um mich mach ich mir keine Sorgen. Aber wenn hier tatsächlich jemand ist und wir nicht wissen, ob der Gefährlich ist, dann ist es nicht sehr klug, den Kleinen hier alleine und ungeschützt zu lassen."
"Es ist also umsobesser, ihn in ein unbekanntes Gebiet zu nehmen, welches von Fallen und unbekannten Bestien nur so wimmeln könnte und bei dem man seine Gegner auch erst erkennt, wenn es viel zu spät ist?"
"Nein.. so hab ich das ja auch nicht gemeint.."

Nathanael blickte unsicher zwischen den beiden hin und her.
"Klar", murmelte Shia. "Lasst einen weltfremden Jungen allein im Feld stehen, nachdem er schon einmal beinahe von einem Riesen zerquetscht wurde. Was soll schon passieren?"
Der Junge nahm das Stück Stoff noch einmal genauer unter die Lupe. Dann warf er einen kurzen Blick zu Shia, die kurz darauf leicht seufzte.
Erneut näherten sie sich Ferik, damit er sie besser hören konnte.
"Ich glaube, wenn ich in den Wald gehe, kann ich herausfinden, wo der Kerl ist, oder es zumindest signalisieren, wenn es gefährlich wird", flüsterte sie ihm zu. "Aber ich werd keinesfalls zulassen, dass Nath irgendwo alleine gelassen wird. Nach der Aktion mit den Steinriesen halte ich es für keine gute Idee ihn hier allein zu lassen."

Jetzt konnte Ferik auf einmal grinsen wie nix.
Ach.. die Käferfee gab ihm recht? Sie gab IHM recht? Hahaha, Triumph, Triumph!
"Nun. Gut. Ihr habt recht. Lasst nur mich alles regeln", sagte er und deutete dann in den Wald.
"Ich mache sogar den Beginn", erläuterte er und verschwand dann einige Meter auf der einen Seite im Dickicht.
Leaf wirkte misstrauisch und blickte noch einmal zu Nathanael, deutete ihm auch an, sich nicht von der 'gesicherten Fläche' wegzubewegen und trat in das Buschwerk und war bald nicht mehr zu sehen. Kaum daraufhin trat Ferik wieder hervor und machte es sich neben Nathanael und den Pferden gemütlich.
"so. Vielleicht haben wir Glück und er kommt gar nicht erst wieder zurück", gähnte er.

Als Shia das dämliche Grinsen von Ferik sah, wünschte sie sich, sie wäre so groß wie die anderen. Einfach um dem Kerl eine zu kleben.
Nathanael hingegen starrte ihn einfach nur mit offenem Mund an. Zunächst blickte er sich panisch um, dann deutete er zunächst auf Ferik, machte dann mit Daumen und Zeigefinger eine reibende Geste und zeigte in den Wald.

"Hö?", machte Ferik, da er das nun wirklich nicht kapierte.
"Junge, du solltest dir mal echt ein Buch binden und einen kohlestift kaufen, es würde der Verständigung vielleicht helfen."
Ging es um Geld? Also wenn es um Geld ging, dann hätte er schon gern verstanden.

Nathanaels Gesicht lief nun langsam rot an. Aber nicht vor Verlegenheit, sondern vor Wut.
"Er sagt dein Geld ist in dem Wald!", übersetzte Shia und stämmte die Hände in die Hüften. "Also solltest du eigentlich interessiert daran sein, es zurückzubekommen. Immerhin hast du es verloren und willst es wieder, oder was sollte das Theater?!"

"Ach so..", verstand er nun, rührte sich jedoch nicht.
"Klar, natürich will ich das zurück. Aber ihr wolltet ja nicht alleine hier sitzen bleiben, wo ist also das Problem? Und wenn der Herr Soldat unbedingt die Lage auskundschaften und dabei in mögliche Fallen stolpern will.. dann sollten wir ihn doch nicht daran hindern und das Beste aus der Lage machen."

Nun war auch in Nathanaels Gesicht das letzte bisschen Verständnis verloren gegangen. Er starrte Ferik mit offener Entgeisterung an.
"Du bist echt mit Abstand das Letzte", knurrte Shia.
Nathanael blickte sie mit einem ungewöhnlich ernstem Blick an. Sie zog eine Braue hoch.
"Willst du wirklich?", fragte sie besorgt. "Vielleicht..."
Doch Nathanaels Gesichtsausdruck blieb fest.
"Also gut", seufzte sie. "Er ist in die Richtung gegangen."
Ohne irgendwelche Proteste seitens Ferik abzuwarten, stapfte Nathanael in den Wald, um Leaf zu folgen.

"He, was? Was ist denn jetzt wieder das Problem?!", rief Ferik ihnen nun ebenfalls relativ verständnislos nach.
Zuerst dies, dann das, bliblablö, nie zufrieden diese blöden Gören und Käfer!
"N-na gut. Dann geht doch!", schnaubte er letztendlich und liess sich hinten raus ins hohe Steppengras fallen.
War ihm doch egal, was die zwei machten und wo sie sich wieder in Probleme stürzten. So hatte er wenigstens seine Ruhe, das war doch auch was.

Nathanael seinerseits stampfte eher durch das Unterholz, als dass er hindurchging. Sein Gesicht war wutverzerrt und er biss die Zähne zusammen, während die Zweige unter seinen Füßen zerbrachen.
"Nath, jetzt wart doch mal...", setzte Shia an, da blieb ihr Freund auf einmal stehen, und schlug mit der Faust leicht gegen Baum. Dann begann er auf einmal, tief durchzuatmen.
"Ich weiß ja, dass dich das aufregt", sprach sie beschwichtigend. "Aber wir wussten ja, gleich woran wir bei dem Kerl sind, das kommt doch noch wirklich verwunderlich, oder?"
Nath wich ihrem Blick aus.
"Komm, vergiss ihn", winkte sie ab. "Konzentrieren wir uns lieber auf unsern Herrn Bogenschützen."
Nath blickte endlich auf und stellte fest, dass der Wald um sie herum überall gleich aussah. Der Zorn in seinem Gesicht wich langsam aber sicher der Verunsicherung.
"Keine Sorge", lächelte sie. "Ich hab sowohl General Gruseligs Assistenten als auch den Landstreicher markiert, wir verlaufen uns ganz bestimmt nicht. Ich glaube er müsste in...die Richtung gegangen sein."
Nathanael folgte ihrem Fingerzeig und schritt vorsichtig in die Richtung, in die sie gedeutet hatte.

Tatsächlich war Leaf noch nicht sonderlich weit gekommen. Teils, weil er der Sache einfach auch nicht so ganz getraut hatte nachdem er erst mal erfolgreich seinen Willen durchgesetzt hatte und überlegte, wieder umzukehren und es doch anders zu machen, teils auch, weil der Wald halt doch relativ ein Gestrüpp war. Hier schien definitiv nicht viel Volk anwesend zu sein, welches den Wald und seine Materialien nutzte und so sauber und licht hielt. Definitiv.
So hatte er sich völlig im Gestrüpp verheddert und mit dem ungespannten Bogen gegen das Kraut schlagen nützte auch nur ansatzweise. Hach wäre jetzt doch nur der Hauptmann mit seinem Schwert und eisernen Willen hier. Das wäre alles viel einfacher!

Nathanael folgte immer der Richtung, die Shia ihm andeutete und blickte sich alle paar Meter vorsichtig um, während er den Wald mit einer Mischung aus Furcht und Faszination betrachtete.
Als er ein Rascheln wahrnahm, blickte er auf und ging weiter, wo er schließlich Leaf fand, der sich offenbar in etwas Gestrüpp verfangen hatte.
"Oje, auf den hätten wir lange warten können", murmelte Shia und Nathanael schmunzelte. Vorsichtig näherte er sich Leaf, kramte seine kleine Sense hervor, und schnitt einige der Äste ab, die ihn hielten.

Leaf erschreckte sich schon ein wenig, als auf einmal jemand neben ihm stand und beinahe hätte er Nathanael das eine Ende seines Bogens ins Gesicht geschlagen. Aber zum Glück nur beinahe, noch rechtzeitig erkannte er die Person und hielt in seiner Bewegung inne.
"Oh, Bruder Nathanael! Was tut Ihr hier? Ich dachte, ihr solltet draussen warten, wo kein Feind euch überraschen und erwischen kann. Die Lage hier.. ist noch nicht gesichert."
Mit der Hilfe von Nathanael kriegte er sich dann wieder einigermassen aus dem Dornengestrüpp heraus und konnte ein wenig Abstand davon nehmen. Nein, ein ungenutzter, verwucherter Wald war kein guter Ort für ein Mann in Rüstung.

"Und so wie ich das sehe, braucht's noch eine Weile bis sie das ist", murmelte Shia schmunzelnd. Nath war leicht zurückgezuckt, als Leaf ihm beinahe den Bogen ins gesicht geschlagen hatte, half ihm dann aber trotzdem aus dem Gestrüpp.
Auf die Frage, warum er gekommen war, blickte er leicht betreten zu Boden, eine Mischung aus Beschämung und einem Tick Enttäuschung. Shia konnte spüren, dass er immer noch ziemlich sauer auf Ferik war.