Schicksalsspiel

Lucia kam nicht drum herum es lustig zu finden, dass der Gott Livedin gerade aussah wie ein begossener Pudel. Dennoch wandte sie sich in die Richtung um, aus der die Schreie kamen.
"Vielleicht sollten wir ihm helfen, bevor wir hier ertrinken", meinte sie. Die Bücher zu schützen war eine Sysyphos-Arbeit, also lenkte sie ihren Zauber so um, dass ihre Freunde und sie halbwegs vom Regen verschont blieben.
"Es weiß nicht zufällig einer von euch, wie man solche Kristalle...entschärft?"

"Draufhauen?", fragte Elin und zuckte mit den Schultern. Könnte funktionieren, musste es aber nicht zwangsläufig.

"Ist es nicht anmassend, eine solche Frage in meiner Anwesenheit zu stellen?", seufzte Livedin und verschränkte dann - wohl ziemlich beleidigt - die Arme.

Elin sah den Gott schief an. Spielte der jetzt echt die beleidigte Leberwurst und ließ sie lieber alle weiter nass werden? Wie gut, dass sie vom Land kam und die ein oder andere Flut gewohnt war. "Dann halt nicht", murmelte sie mürrisch und watete los Richtung dieses Kristalls. Irgendwas würde ihr schon einfallen.

Lucia sah verwundert zwischen Livedin und Elin hin und her. Ehrlich gesagt verstand sie nicht recht, warum er auf einmal so beleidigt war. Gefiel es ihm nicht, zum Klempner herabgewürdigt zu werden?
Sie zuckte mit den Schultern und folgte schließlich Elin. Was immer den Gott störte, es konnte warten bis sie die Bibliothek vor einer Sintflut gerettet hatten.
Sie fanden schließlich den Mann, der etwas planlos an einem Kristall hantierte.
"Verzeihung", sagte sie. "Können wir Euch irgendwie helfen?"

Der Bibliothekar sah hinter einem Vorhang aus nassem Haar zu ihnen herüber und senkte die Arme, mit denen er vorher herumgefuchtelt hatte, ohne einen Nutzen zu haben.
"Wenn ihr keine Spezialisten für Wasser-Schutzkristalle seid, dann eher nicht! Ich hatte doch ausdrücklich einen Luft-weg-Kristall bestellt! Was will ich mit Wasser in einer Bibliothek, was?! Und dann noch absichern mit einem Zauber, dass er nicht von den Kindern versehentlich aktiviert wird, pfs, da sehen wir, wie gut das funktioniert, bravo! Jetzt lässt er sich nicht mehr abstellen, verflucht!"

"Ist Wasser nicht dein Spezialgebiet?", flüsterte Elin Lucia zu. Sie war sich nicht so sicher, ob das mit dem Feuer funktionieren würde, wenn Livedin ihr nicht half und ob das überhaupt was brachte.

"Öhm", meinte Lucia und sag den Kristall nachdenklich an. "An sich schon, aber..."
Sie legte vorsichtshalber eine Hand auf den Kristall und konzentrierte sich. Zuerst tat sich nichts, aber dann...
"Das ist interessant", sagte sie mehr zu sich selbst als zu den anderen. "Ich kann die Austrittstellen des Wassers spüren. Diese Kristalle...sie verwandeln Feuchtigkeit in der Luft in Wasser um? Dann kann man solche Zauber also an Kristallen speichern?"

Noch immer beleidigt, dass man einem Gott zutraute, einen solch belanglosen zauber nicht aufheben zu können, kam Livedin dann aber doch mal näher, um die Sache zu beäugen.
Jedoch sagte er noch immer nicht viel dazu.

"Natürlich kann man Zauber an Dinge binden. Es ist kein einfaches Vorgehen, doch eine sichere Art, Mechanismen auch bei der Abwesenheit von geeigneten Magiern in Gang zu halten oder jene auch für das unwürdige Fussfolk freizugeben", sagte der Bibliothekar. "Aber in diesem Fall ist es einfach nur eine falsche Lieferung, nein, Sabotage sogar! Ein schandvolles Verbrechen!"

Elin überlegte kurz, ob sie dem Magier bei den Worten Fußvolk und Verbrechen eine reinhauen sollte, ließ es aber lieber bleiben. Vielleicht war es ja wirklich Sabotage. "Wer sollte denn eine Bibliothek sabotieren?", fragte sie. Klar, waren in diesen Büchern wichtige Dinge, aber deswegen gleich alle zu duschen.

Lucia sah unsicher zu Livedin und wunderte sich, wie jemand in so einem durchnässten Zustand schmollen konnte.
"Ich...denke das sollte ich hinkriegen", sagte sie vorsichtig. Sie schloss sie Augen und konzentrierte sich auf die Wasserkristalle. Nur damit sie es eine Sekunde später noch stärker regnete.
"Was...ähm...neineinein!", meinte sie hastig und legte beide Hände auf den Kristall. Konzentrieren. Keine. Feuchtigkeit aus der Luft ziehen.
Langsam ging das Wasser auf ein Nieselregenniveau zurück, endete in einem leichten Tropfen, bis es schließlich ganz verpuffte.
Das Wasser auf dem Boden war allerdings nicht verschwunden. Die Regale hatten sich mit Feuchtigkeit vollgesogen, Lucias Kleidung klebte quasi an ihrem Körper und sie kam nicht drumrum, zu frieren.

Da sie es soweit selbst geschafft hatten, erbarmte sich Livedin schliesslich.
Es wurde auf einmal ziemlich warm und auch feucht da drin, weil das ganze Wasser verdampfte. Aber danach begann es zu winden, was einen trocknenden Effekt hatte.

Lucia hatte erstaunt blinzelnd das Schauspiel begutachtet und musste zu ihrer Erleichterung feststellen, dass ihre Kleidung wieder halbwegs trocken war. Trotzdem bedachte sie den Gott mit einem mürrischen Schmollblick.
"Für einen Gott seid Ihr ganz schön launisch", raunzte sie ihm zu.

Elin nickte zustimmend und sah sich um. Das hatte alles ein ganz schönes Chaos in der Bibliothek hinterlassen. Überall lagen Bücher rum und ein paar Regale waren umgekippt. Obwohl alles wieder trocken war, hörte der Magier dennoch nicht auf zu zetern.

Und wie der Magier ausser sich war. Auch wenn seiner Meinung nach anscheinend nun die Sicherheitskristalle doch noch richtig funktioniert hatten - er konnte ja nicht ahnen, dass ein Gott neben ihm stand - so waren vor allem einige der Bücher in Bodennähe nun ziemlich ruiniert. Nicht unbedingt endlos ruiniert, da sie immerhin eine Institution voller hochgeachteter Magier waren. Aber es würde sehr lange dauern, das alles zu reparieren.
Wenigstens kam dem Herren dann doch noch Lucias positiver Einsatz in den Sinn und er unterbrach sein Gejammer für einen Moment, um sich ihr zuzuwenden.
"Ihr habt gute Arbeit mit dem Kristall geleistet, junge Dame. Hier. Nehmt ihn gleich mit Euch und macht damit, was ihr gerne wollt. Ich werde unterdessen eine Beschwerde einreichen und nach dem richtigen Modell verlangen. Mit diesem blöden Wasserzauber kann ich nichts anfangen! Wer kam auch nur auf diese unglaublich dumme Idee! Der Monteur wird etwas von mir hören, dieser verfluchte, jämmerliche.."
Er glitt wieder ins Zettern ab und drückte Lucia den Kristall energisch in die Finger, während er davonstampfte, um den Schuldigen gleich selbst zu finden und zu stellen.

Mit einer hochgezogenen Augenbraue sah Elin im hinterher und schaute dann zu Lucia, die nicht minder verwirrt aussah. "Jetzt haben wir einen Wasserkristall", stellte sie nüchtern fest. "Yaaaaaay."

Im Gegensatz zu Elin betrachtete Lucia den neuen Gegenstand mit Neugierde und sogar einen gewissen Grad an Faszination.
"Wer weiß", meinte sie. "Vielleicht könnte das sogar nochmal nützlich sein. Zauber fern steuern zu können..."
Sie dachte einen Moment an die Möglichkeiten und ihre Augen leuchteten. Lächelnd steckte sie das Spielzeug ein. Sie sah rüber zu Livedin und kam nicht darum herum, dass es praktisch war, sich an der Akademie zu verstecken. Unter all den mächtigen Magiern, fiel Livedin nicht ob seiner Fähigkeiten auf. Und mit seinem etwas...laxeren Auftreten passte er auch ganz gut rein.
"Sagt mal", sie beugte sich vor, damit nur ihr Begleiter sie hören konnten. "Wenn man Magie aus der Ferne erspüren und steuern kann...müsste man dann nicht auch die Magie eines Halbgottes aus der Ferne orten können?"

"Uhh, so einfach ist das nicht, meine Liebe", sagte Livedin. "Wäre es das, hätten die Engel ihn schon längst gefunden ..."
Er seufzte leise.
"Und ich denke, das werden sie leider auch bald, wenn ... hach... Ich bin ein Gott und fühle mich völlig mittellos. Wie wäre es, wenn ihr mir mal ein wenig Hilfe schickt?!"
Die letzten Worte richtete er an die Decke.

Lucia seufzte tief.
"Wir könnten natürlich auch einfach warten bis sie ihn finden und ihn ihnen wegschnappen", schlug sie mit ironischem Unterton vor. "Haben Eure Freunde Euch denn gar keinen Hinweis gegeben?"

"Nein haben sie nicht", grummelte Livedin missmutig. "Und ich muss ehrlich sein. Ich bin eigentlich nicht der Richtige dafür. Wirklich nicht ..."
Er seufzte theatralisch.
"Angeblich sollen Götter und Halbgötter einander erspüren können oder sowas. Aber ob das wirklich stimmt... Steht in den verdammten Sternen. Oder in den heiligen Bibliotheken meines Reiches ... Wobei ich allerdings... es versäumt habe, dadrin nach dem richtigen Buch zu sehen."

Leider hatten sie dann aber vorerst gar keine Zeit mehr, weiter da am Ort zu plaudern, denn der Bibliothekar-Magier war nun ziemlich stinkig und musste alles aufräumen und die Bücher neu ordnen, weswegen er sie trotz ihrer Mithilfe gemeinsam mit den anderen Studenten aus den Hallen scheuchte. Von der Treppe in den unteren Stock her kam leichter Rauch - wohl die Ursache der Erschütterung und auch sonst war partielles Chaos ausgebrochen. Einige Schüler husteten herum, waren aber zu dumm, um Schutz vor dem Rauch zu suchen, sondern streckten noch ihre Nasen neugierig hinein, die Herren Magier waren erzürnt und irgendwo war wohl ein Terrarium voll mit bunten Fröschchen umgefallen, denn die hüpften über den Flur in Richtung Freiheit.
"Das ist doch unglaublich! Verflixt und zugenäht! Und das heute, wo wir doch einen Besuch von den Engeln erhalten! Verdammter Einhornmist!", fluchte einer der Oberen, der mit angesengtem Bart vom unteren Stock her kam. In die genau entgegengesetzte Richtung schlurfte ein weibliches Wesen, das irgendwie nicht so ganz menschlich wirkte mit einem Putzeimer und einem Lappen. Sehr eilig hatte es die Dame nicht. Und als sie gerade Livedin und seine Mädels aus der Bibliothek kommen sah, hielt sie an und richtete den Wischmob auf sie.
"He. Ihr da. Ihr steht sicher auf Freiwilligenarbeit. Könnt mir beim Putzen helfen von diesem Speichelleckerschuppen."

Elin hatte nicht wirklich Lust auf putzen und schaute dementsprechend etwas angewidert drein. Trotzdem erschrak sie, als sie hörte, was einer der Magier sagte. "Engel", brachte sie heraus. "Heute... Hier...?" Sie wusste nicht, was sie tun sollte. Die Wut stieg in ihr auf, aber sie wusste, dass sie nichts tun konnte.

Lucia gab der Frau einen blanken Gesichtsausdruck, als sie das Wort Engel hörte. Ihre Hand begann zu zittern und sie spürte, wie ihr Puls schneller wurde. Sie fasste sich an die Stirn.
"Wir müssen ganz schnell weg von hier", sagte sie tonlos.

Uh, Engel...? Interessant ...
"Keine Panik", sagte Livedin und griff nach einem Schrubber.
"Es ist doch nur ein Besuch und keine Razzia ..."
Naja, er hoffte das zumindest. Dämliche Engel. Was wollten die hier überhaupt?