Schicksalsspiel

Lucia blickte leicht unwohl zwischen ihren Begleitern und den Magiern hin und her. Ihr war überaus unwohl bei der Sache und am liebsten hätte sie gar nichts gesagt. Aber jemand musste sprechen.
"Verzeiht...", wandte sie sich erst leise and die Magier, nahm dann aber ihren Mut zusammen und schaute ihnen in die Augen. "Verzeiht, dass wir erst so spät erscheinen. Ich...ich weiß, wir sehen etwas mitgenommen aus, aber...nun wir hatten einen sehr langen Weg bis zur Akademie. Ich musste aus dem hohen Norden anreisen und musste vielen Widrigkeiten trotzen um hier anzugelangen. Und meinen Kameraden geht es nicht anders. Sie sind von weit her gekommen nur um hier studieren zu dürfen."

"Nun.. die eigentliche Anmeldefrist habt ihr leider verpasst", begann ein anderer Magier, der sie mehr interessiert als sonst wie musterte.
"Jedoch machen wir in speziellen Fällen gerne Ausnahmen. Habt ihr denn wenigstens eure Anmeldeschreiben dabei, wenn ihr sie schon nicht mehr rechtzeitig schicken konntet?"
"Wisst ihr", erklärte ein anderer. "Wir erlauben uns gerne, die angemeldeten Neuen auf einen Termin einzuladen und dann auf ihr bisheriges Wissen, ihr Grundtalent und auch sonstige wichtige Eigenschaften hin zu prüfen, um uns zu versichern, dass sie unserer Ausbildung auch wirklich wert sind."

Auf das letzte Angebot hin blickte Lucia interessiert auf. Das klang doch schon eher nach etwas. Dann würden sie Zeit haben, sich einen Plan zu überlegen. Vielleicht konnten sie sich hier auch umsehen.
"Wir würden Euch gerne beweisen, wir ernst es und mit unserem Beitritt ist", erklärte sie. "So eine Prüfung, wie würde die sich denn gestalten?"
"Immer der Reihe nach", meinte ein anderer Mann und trat hervor. "Wir werden eure bisherigen Fähigkeiten testen und überhaupt das allgemeine Potenzial überprüfen. Doch bevor wir dies tun können, sollten wir erst einmal wissen, mit wem wir es überhaupt zu tun haben. In diesem Sinne wäre es das beste, Ihr würdet Euch erst einmal vorstellen, uns sagen wer Ihr seid und von wo Ihr kommt."

Das war doch alles viel zu kompliziert!
"Nun. Mein Name ist Livedin", sagte Livedin. Es war doch nicht einmal so extrem unüblich, Kinder nach Göttern zu benennen …?
"Ich stamme von hier und ähm … ich bin magisch wirklich sehr begabt. Ich könnte auch gleich jetzt eine Kostprobe starten."

Lucia rutschte das Herz in die Hose und sie zuckte entsetzt zusammen. Er stellte sich beim Namen vor? Hatte er völlig den Verstand verloren?
Doch der Magier betrachtete sie nur mit hochgezogener Braue.
"Wenn Sie wollen, bitte sehr", gestand er Livedin schulterzuckend zu. "Was ist Ihr Spezialgebiet? Levitation? Regeneration? Pyrokinese?"
Lucia blinzelte einen Moment verwundert. Wollten sie denn gar nicht darauf eingehen, dass...
Da erhellte sich ihr Gesicht auf einmal. Wenn jemand in ihr Haus gekommen wäre und sich als Hartfried vorstellte, würde sie wohl auch nicht davon ausgehen, dass es sich um den berühmten Drachentöter handelte. In gewisser Hinsicht war das vielleicht sogar die beste Tarnung.

"Ach. Ich hab kein Spezialgebiet", meinte Livedin leicht grinsend.
"Ich kann eigentlich alles …"
Im Hinterkopf hoffte er, dass er wirklich alles hinkriegte, was dann von ihm verlangt wurde aber heh, ein Versuchs wars doch wert. Er war immerhin ein Gott!
"Fangen wir doch … mit Illusionen an", grinste er verschmitzt, ehe er sein Buch aufschlug, ein wenig darin herumblätterte und dann einige Worte murmelte. Kurz darauf materialisierte sich ein Einhorn, das sich vor den Magiern aufbäumte.

Beim Anblick des Einhorns schreckten einige der unerfahreneren Magier zurück, die Gewandteren unter ihnen musterten die beschworene Kreatur prüfend, einige gaben ein anerkennendes Nicken oder einen prüfenden Blick von sich. Lucia betrachtete das Wesen mit großen Augen. So etwas hatte sie noch nie gesehen.
"Sehr beeindruckend", nickte der Erzmagier. "Sagt, wo habt Ihr das gelernt?"

"Von einer begabten Frau … in einem anderen Land", erklärte er. Das Einhorn scharrte auf dem Boden und die Illusion war so echt, dass dabei sogar ein Geräusch erklang. Doch dann griff Livedin in die Mähne des Wesens, woraufhin es sich in einem eiskalten Schneewirbel auflöste.
"Spielt es denn eine Rolle, wo ich gelernt habe?"

"Ein wenig. Es wäre ja schade, Zeit und Ressourcen an jemanden zu verschwenden, der nichts mehr zu lernen hat", schmunzelte der Erzmagier. "Es hätte mich lediglich interessiert, wer es war. Der Kontakt zu anderen Ländern ist in den letzten Jahren leider stark abgebrochen."
Er warf einen aufmerksamen Blick auf das Buch.
"Habt Ihr das Buch auch von Eurer Meisterin? Dürfte ich es einmal sehen?"

"Ähm …"
Ohje. Das Buch. Das Buch hatte Oade geschrieben, es war vollkommen und perfekt. Und Livedin hatte keine Ahnung, was es in den Händen eines Menschen anstellen würde.
Dennoch reichte er dem Mann das Buch zögernd.
"Sie hat es mir geschenkt … als unsere Wege uns trennten."
War ja nur halb gelogen.

Der Erzmagier blätterte fasziniert über die Seiten.
"So etwas habe ich noch nie gesehen", murmelte er. "Das ist außergewöhnlich..."
Einig der Magier im Hintergrund drängten sich hinter ihn, um ihm über die Schulter ins Buch zu lugen. Lucia sah Livedins unbehaglichen Gesichtsausdruck.
"Ähm...verzeiht", wandte sie sich an die Magier, die geistesabwesend aufsahen. "Wenn Ihr es gestattet...würde ich auch gerne etwas vorführen."
"Ah...natürlich", sprach der Erzmagier und reichte Livedin das Buch zurück. "Es muss von einer großen Meisterin verfasst worden sein. Ihr müsst uns unbedingt einen Abzug davon anfertigen. Es wäre eine Bereicherung für unsere Bibliothek."

"Freilich wäre es das", nickte Livedin.
Ohje. dAs Buch durfte niemals in die Hände der Menschen gelangen. Sonst gelang es früher oder später in die Hände der Engel!

"Nun, junge Dame", wandte sich ein anderer Magier an sie und rückte seine Brille zurecht, "was könnt Ihr uns vorführen."
Lucia hob kurz die Hände, dann zögerte sie. Wie sie die Wachmänner gestern angegriffen hatte, hatte sich wahrscheinlich herumgesprochen. Besser sie verwandelte hier nichts in Eis.
Also trat sie zu einer nahen Blumenvase schloss die Augen und hob eine Hand. Ohne dass sie die Vase auch nur bewegt hätte, schwebte das Wasser auf einmal heraus, floss durch die Luft zu Lucias Hand und bildete dort eine Kugel.
Unter den prüfenden Blicken der Magier ließ Lucia das Wasser einige Bögen beschreiben, erst langsam dann immer schneller. Das war eigentlich eine ihrer leichtesten Übungen, aber sie behielt das Wasser genau im Auge, als müsse sie sich sehr konzentrieren.

Wenn es sein musste und ihre magische Energie ein wenig absackte, griff Livedin ihr sachte unter die Arme. Natürlich so, dass keiner es bemerkte.
Er hoffte schliesslich, dass das Mädchen die Herren ebenso beeindruckte.

Elin begann leicht zu schwitzen. Was zur Hölle sollte sie diesen Magiern bitte vorführen? Sie warf Livedin einen Blick zu und hoffte inständig, dass er ihn bemerkte. Er musste ihr einfach helfen. Schließlich würde er sonst auch auffliegen und sie hatte keine Lust jetzt schon draufzugehen.

Livedin bemerkte den Blick und lächelte Elin aufmunternd zu. Sie hatte offensichtlich Angst, doch das würde schon alles klappen. Es musste einfach alles klappen!

Schließlich vollendete Lucia ihre kleine Vorführung ließ das Wasser wieder zu der Vase schweben wo es einen Moment in der Luft verweilte, als befände es sich in einem unsichtbaren Gefäß, aus diesem floss das Wasser dann Stück fü Stück wieder heraus und zurück in die Vase, aus der es gekommen war.
Lucia atmete erleichtert aus und warf Livedin ein schüchternes Lächeln zu. An einigen Stellen war es ihr heute deutlich leichter gefallen als sonst und nach den Erlebnissen der letzten Tage schob sie das wohl eher nicht dem Glück zu.
"Wasserbeschwörung, nicht übel" bemerkte einer der Magier. "Sagt, wie lange übt ihr dies schon?
Schon mein ganzes Leben., dachte Lucia, doch dann wären sie wohl kaum beeindruckt gewesen. Schließlich hatte sie ihnen nicht alles gezeigt.
"Seit etwa einem Jahr", solange war sie schon auf Wanderschaft.
"Nun, mit ein bisschen Feinschliff, könntet ihr Eure Fähigkeiten sicher noch ausarbeiten."
Er wandte sich endlich Elin zu.
"Und wie sieht es mit Euch aus, junge Dame?"

"Öhm", räusperte sich Elin und schielte noch mal ganz unauffällig zu Livedin. "Ich kann Feuer beschwören."
Glatte Lüge, aber sie würde es wirklich gerne können. Und sie hoffte auch, dass Livedin so was konnte. Gleichzeitig wurde der Rucksack auf ihren Schultern plötzlich unglaublich schwer. Was war das nur, was sie da mit sich rumschleppte?

Der Magier zog eine Braue hoch.
"Feuerbeschwörung, hm?", erkundigte er sich. "Überaus klassisch. Aber wenn dem so ist nehmen wir lieber ein paar Vorsichtsmaßnahmen."
"Gehen wir nach draußen", schlug der Erzmagier vor. "In geschlossenen Räumen Feuerzauber einzusetzen ist gefährlich."
So führte er die kleine Truppe nach draußen auf einen kleinen steinernen Übungshof, wo er eine Fackel entzündete.
"Das sollte ausreichen", meinte er und hielt Elin die Fackel hin. "Nun denn, zeigt uns Eure Fähigkeiten, junge Dame."

Etwas missmutig schlurfte Elin den Magiern hinterher und sah dabei wieder zu Livedin. Sie hoffte wirklich er würde ihr helfen. Das Ding auf ihrem Rücken war mittlerweile erdrückend schwer, sodass sie das Gefühl hatte, sich kaum bewegen zu können. So in Gedanken versunken war sie ziemlich komplex, als der Erzmagier ihr eine Fackel entgegenstreckte.
"Öhm", murmelte sie und schloss die Augen, um ihr letztes Stoßgebet gen Himmel zu senden. Irgendwo musste da ja ein Feuergott sein, der ihr verdammt noch mal helfen würde!
Sie streckte die rechte Hand mit nach oben gerichteter Handfläche von sich und tat so, als würde sie sich konzentrieren. Das Gewicht auf ihren Schultern war plötzlich weg und sie spürte eine prickelnde Wärme über ihrer Hand. Das musste die Fackel des Magiers sein. Elin öffnete die Augen und war um so verwunderter, als sie eine kleine Flamme ein paar Zentimeter über ihrer Handfläche schweben sah.
"Also das brauch ich nicht", meinte sie mit einem Blick auf die Fackel gerichtet.
Sie konnte sich gerade noch fangen und so selbstsicher tun, wie sie es in dieser Situation schaffte. Wie zur Hölle hatte sie das denn gemacht?

Lucia schaute erstaunt auf Elins ausgestreckte Handfläche. Hatte sie das Feuer etwa gerade selbst erschaffen? Sie selbst war stest nur in der Lage gewesen, Wasser und Eis zu beschwören, das in ihrer Umgebung war.
Half Livedin ihr etwa? Oder war das ihr eigenes Werk?
Der Magier fuhr sich interessiert durch den Bart.
"Ihr könnte also selbst Feuer erzeugen?", erkundigte er sich. "Interessant."

"Ja", antwortete Elin schlicht, um ihre Kunst so geheimnisvoll wie möglich zu machen. Sie hatte aber selbst keine Ahnung, wie sie das gemacht hatte. Wie bekam sie das Ding eigentlich wieder aus?
Wieder war sie einen Blick zu Livedin. Hatte er ihr doch geholfen?

Livedin lächelte verschmitzt. Er hielt sich so dicht wie möglich an Elin, um ihr ebenso zu helfen wie zuvor Lucia.

Elin fuchtelte mit der Hand und sah die Magier herausfordernd an. Vielleicht hätte sie das nicht tun sollen, aber die mussten doch jetzt von ihr überzeugt sein.

"Hmmm, interessant, in der Tat", wiederholte einer der Magier. "Feuer zu erzeugen ist eine seltene Gabe. Das dürfen wir nicht außer Acht lassen."
"Aber ebenso zeitaufwändig beim Lernen", meinte ein anderer. "Und wenn sie nur eine kleine Flamme beschwören kann, könnte es Jahre dauern, bis sie ihre Fähigkeit völlig zum Fruchten bringen kann."
"Jetzt seien sie doch nicht so streng. Allein durch magische Kraft Elementarmagie heraufzubeschwören ist immerhin eine diffizile Kunst. Weitaus komplexer, als Beschwörung vorhanderer Kräfte."
Durch die Reihen der Zuschauer ging ein Gemurmel. Sie schienen sich noch nicht ganz sicher zu sein.