Re-BIRTH (Fortsetzung)

Kaddie drückte sich an eine Wand und lugte um die Ecke. Drei Kerle mit Pistolen. Denen durfte sie auf keinen Fall direkt vor die Flinte laufen. Aber irgendwie musste sie die Typen von Livana ablenken.
Neben ihr lag eine leere Coladose. Sie hasste sich jetzt schon dafür, sah aber, dass es keine andere Wahl gab. Sie schätzte den Winkel ab und gab der Dose einen kräftigen Tritt, die daraufhin an einer Regenrinne abprallte und einem der Wachmänner ins Gesicht schlug.
Kurz fluchte dieser während die anderen beiden die Gasse anpeilten.
"Keine Bewegung!", riefen sie. "Legen Sie die Waffen nieder und kommen Sie mit erhobenen Händen heraus!"

Livana atmete noch einmal tief durch. Sie befand sich mittlerweile im richtigen Winkel und nebenbei musste sie reagieren, bevor die Wachmänner Kaddies Gasse erreichten.
"Jetzt oder nie", dachte sie sich noch verbittert, bevor sie absprang.
Der Fall war vermutlich das allerschlimmste an allem, auch wenn er nicht lange dauerte. Da sie den Vorteil des Überraschungsmoments hatte, schaffte sie es so tatsächlich, den ersten, also den hintersten, zu Boden zu reißen. Dieser gab einen erstickten Schrei von sich, was bedauerlicherweise die Aufmerksamkeit der anderen auf sie lenkte.

Die beiden Männer wandten sich des plötzlichen Geräusches wegen um. Einer von ihnen riss die Pistole herum, doch bevor er abdrücken konnte, schnellte Kaddie nach vorne und verpasste ihm einen käftigen Tritt in die Magengrube, wobei er die Waffe verlor und in die Knie ging.
Als sie zu dem anderen herumwirbelte musste sie jedoch erschrocken feststellte, dass sie in den Lauf einer Pistole sah. Und er den Finger am abzug hatte. Es war zu spät zum Ausweichen.
Instinktiv schnellte einer ihrer Arme nach vorne und sie schlug die Waffe zur Seite.
Einen Tick zu spät.
Ein Schuss löste sich und streifte sie an der Schulter. Sie gab ein schmerzerfülltes Stöhnen von sich.

Livana hatte den ersten bereits am Boden befestigt und hatte sich mit einem Sprung zum zweiten aufgemacht, als sie den Schuss und Kaddies Stöhnen hörte.
"Kaddie!", rief sie verzweifelt und handelte rein instinktiv, indem sie die auf dem Boden liegende Knarre sah, aufhob und auf den Kerl schoss, der soeben ihre Kameradin getroffen hatte. Sie wiederum verpasste diesem einen Streifschuss an der linken Wade, wurde von dem Rückstoß aber ins Stolpern gebracht.

Der Mann schrie schmerzerfüllt auf und ging in die Knie. Kaddie hielt sich zähneknirschend mit der unverletzten Hand ihren Arm, ließ dann aber ihr Bein nach vorne schnellen, als der Mann in die Knie ging.
Ein Tritt ins Gesicht, ein Kopf gegen die Wand, und er war ausgeknockt. Kaddie glaubte eine Spur Blut an der wand zu sehen, wo sein Kopf eingeschlagen war, doch das war ihr im Moment herzlich egal. Sie sah sich zu Livana um.
"Alles okay?", fragte sie schwer atmend.

Als ihr Kerl sich beschwert hatte, hatte sie ihm noch einmal den Lauf der Pistole gegen den Kopf geschlagen und ihn anschließend ebenfalls festgeklebt.
Sie schaute auf, als Kaddie sie ansprach, und nickte. "Du bist ja verletzt", stellte sie dann leicht entsetzt fest und stürzte auf sie zu. Schusswunde, Schulter. Dadurch konnte man eine Menge Blut verlieren, wenn man sich nicht rechtzeitig drum kümmerte. "Setz dich mal hin, ich kleb das."

"Kleben?", fragte Kaddie etwas verdattert und sah zu den Poliziszten, die mit einer Art Schleim am Boden klebten. Etwas unheimlich fand sie das schon, doch ihr Arm schmerzte höllisch. Also kam sie wortlos der Bitte nach.

Livana riss sich einen Stoffstreifen aus dem Saum ihres Kleides und stellte im nächsten Moment erschrocken fest, dass sie selbst ja ein Kleid von Kaddie trug und somit gerade deren Kleidung demolierte, entschied sich aber dafür, das jetzt besser nicht zu sagen.
Anschließend legte sie die Finger um die Verletzung, drückte die Haut ein Stück nach unten. Was sicherlich ordentlich schmerzte, aber da musste Kaddie jetzt durch, sie war schließlich stark.
Den Stoff verwendete sie daraufhin, um das Blut vorerst aus der Verletzung zu entfernen und dann, sie schnell es ging, sie mit Leim zu füllen.
"Für's erste Mal nicht schlecht", stellte sie dann zufrieden fest, als sie die geschlossene Wunde anschaute.

Kaddie presste während der Behandlung die Zähne zusammen, gab aber keinen Laut von sich. Sie hatten diese Aktion definitiv unterschätzt. Die Sicherheitskräfte hier waren ausgebildet und bewaffnet, nicht wie die hirnlosen Schläger aus Mud Town und em Arbeiterviertel.
Als Livana fertig war, sah sie sich die Schulter nochmal näher an. Er schmerzte immer noch, aber zumindest blutete es nicht.
"Mich laust der Affe", sagte sie erstaunt. "Sowas kannst du mit deinem...Leim da also auch machen?"

Livana lächelte müde. "Dafür wurde ich geschaffen", erklärte sie dann. "Further schwärmte immer davon, wie revolutionär für die Notfallmedizin Leute wie ich wären." Sie seufzte, dann erhob sie sich wieder. "Können wir weiter oder willst du dich noch einen Moment lang ausruhen?"

Kaddie schüttelte ernst den Kopf.
"Wir müssen weiter. Wahrscheinlich sucht schon die halbe Stadt nach uns. Und die Schüsse hat mit Sicherheit jemand gehört."
Mit kritischem Blick sah sie sich um.
"Fragt sich nur wohin."

Sie nickte langsam, dann ging sie herum, um die Waffen aufzuheben. Zumindest einer der Polizisten war bei Bewusstsein, aber der konnte sich nicht bewegen und somit keinen Laut von sich geben. Um den vom Boden loszukriegen, müssten sie ihn schon abschneiden.
Alle drei hatten sie Pistolen plus Wechselmagazine, zwei von denen reichte sie Kaddie, da sie selbst kaum Kraft zum Schießen hatte. Interessanter war fast das, was sie noch so bei sich trugen. Der eine hatte Schlagringe, der nächste ein Messer und der dritte eine Granate und Livana musste unwillkürlich grinsen. Da waren sie ja fast gut ausgerüstet.
"Wir müssen zur Kanalisation, aber ich glaube nicht, dass wir die Gullideckel hier aufkriegen..." Sie überlegte kurz. "Von vielen Häusern aus kann man, wenn man im Keller ist, die Kanalisation betreten..."

Kaddie betrachtete nachdenklich die Häuser.
"Die Preisfrage ist jetzt nur wie wir in eines von denen reinkommen", meinte sie. "Würde mich zumindest wundern, wenn sie die Türen einfach so offen stehen lassen."

"Postdienst?", kam es nachdenklich von Livana. "Vorhin waren wir die Müllabfuhr, diesmal könnten wir einfach sagen, wir würden gern einen Brief bei XYZ einwerfen. Oder so." Sie schaute auf die Granate. "Ich denke, das Ding sollten wir uns für später aufheben."

"Meinst du wir sollen Postboten überfallen?", fragte sie mit müdem Lächeln, während sie langsam durch eine der Gassen davon schlichen. "Bei der Müllabfuhr gings ja noch, aber ich bin mir nicht sicher, ob man uns beiden eine Tätigkeit bei der Post abkaufen würde."

"Haben hier alle Häuser eine Kamera unten?", fragte sie. "Vielleicht suchen wir eins ohne Kamera... oder so... Auf die Hauptstraßen können wir auf jeden Fall nicht, geschweige denn, dass wir vorne zur BIRTH reinlaufen könnten." Während sie liefen, befestigte sie den Sprengkörper an der Hose unter ihrem Kleid, die Knarre sicherte sie und steckte sie in die Hose und das Messer behielt sie in der Hand. "Oder wir schauen, ob hier irgendwo an der Kanalisation gebaut wird, was weiß ich, irgendeinen Weg muss es doch geben!"

Kaddie schielte erneut im Schatten eines Hochhauses auf eine der breiteren Straßen, wo sie gerade sah, wie ein Postbote einen großen Sack mit Briefen in eine Klappe an eines der Häuser warf.
"Ich hab da eine Idee", setzte Kaddie zögerlich an und deutete auf die Postsäcke. "Kann aber sein, dass sie dir nicht gefällt."

Livana schluckte. "Ich soll da... rein?", meinte sie mit verzogenem Gesicht, dann seufzte sie. "Muss ja, oder?"

"Hast du einen besseren Vorschlag?", erkundigte sie sich. "Wenn du dich da reinschleichst, könntest du mir die Tür aufmachen und wir finden runter in die Kanalisation. Um einen unterirdischen Zugang zu finden fehlt uns die Zeit, und ich kenne mich hier nicht gut aus..."
Da blinzelte sie auf einmal nachdenklich.
"Andererseits...unter der Erde haben wir keinen Orientierungspunkt. Da könnten wir ewig nach dem Hauptstützpunkt der Regierung suchen."

Mit einem Mal vernahm Livana Fussgetrappel von beiden Enden der Gassen und gleich darauf sah sie eine Schar an Polizisten auf sie zu rennen. Von beiden Seiten. "Mist!", fluchte sie und liebend gern wäre sie einfach an den Hausmauern hochgeklettert, aber sie konnte Kaddie nicht allein lassen.

Das mit den Hausmauern wäre wahrscheinlich ohnehin keine so gute Idee gewesen, denn auf den Dächern tauchten auf einmal Scharfschützen auf.
"K...keine Sorge", gab Kaddie von sich, machte sich so gut es ging bereit. "Das..." Die Polizisten vor ihnen legten Maschinengewehre an. "...schaffen wir..." Die hinter ihnen ebenso. "Wahrscheinlich..." Die roten Lichter von Zielpointern richteten sich auf all ihre Vitalpunkte. "Nicht..."
Ein gezielter Schuss hätte wahrscheinlich sogar gereicht, aber was man auch über ARSCH, den Allgemeinen Rundum SCHutz, sagen konnte, sie machten ihre Arbeit gründlich. Sie verpassten den beiden Mädels von beiden Seiten eine ordentliche Ladung Blei, die sie einen unkontrollierten Tanz aufführen ließen. Die Munition war zwar teuer, wurde aber offenbar zu den Spesen gezählt, denn die Soldaten hörten nicht zu schießen auf, bis ihre Magazine leer waren.
Wahrscheinlich waren sie bereits im Stehen tot, doch dann bekam jedes der Mädchen noch einen Schuss in die Stirn und erst dann sackten sie Rücken an Rücken tot in sich zusammen.

"Und das passiert, wenn ihr da einfach planlos reinrennt", brummte Dex, lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. Kaddie betrachtete mit gerunzelter Stirn und grüblerischen Gesichtsausdruck die Karte von Sodom.
"Da könntest du sogar recht haben."
"Dex", sprach Ophelia, die von der Erzählung reichlich bleich geworden war. "Musstest du in Gegenwart der Kinder so...detailliert sein?"
Sophia wirkte reichlich weggetreten, Leni umklammerte das Hemd ihrer Mutter. Mark und Abe schauten Dex mit funkelnden Augen an.
"Können wir das nochmal durchgehen?!"

Livana verschränkte die Arme vor der Brust, lehnte sich zurück und seufzte etwas zu laut. "Schön und gut", murrte sie. "Aber selbst wenn wir einen Plan haben... Man kommt nie und nimmer gescheit da rein, es ist schon ein Wahnsinsakt, da überhaupt heraus zu kommen."
Wie auch immer Justin es geschafft hatte, es musste ein Wunder und viel Glück gewesen sein, der Kerl war doch sonst zu blöd für alles. 
"Und ich bezweifle, dass Sie im Hinterhof eine Waffenkammer und eine Armee versteckt haben."

"Nein, junges Fräulein, damit kann ich leider nicht dienen", seufzte Dex. "Die Zeit wo man die Leute hier noch für große Aufstände animieren konnten sind vorbei, auch wenn das noch nicht alle..."
Auf einmal hielt Dex inne und ein Schatten legte sich über sein Gesicht.
"Dex, was ist los?", fragte Kaddie stirnrunzelnd.
"Sag, Ophelia", erkundigte sich Dexter. "Wie haben diese Schakale euch eigentlich gefunden?"
Ophelia blinzelte verwirrt.
"Ich weiß nicht...auf einmal waren sie vor unserer Türschwelle." Dann erhellte sich ihr Gesicht und sie sah beunruhigt zu Dex. "Du meinst doch nicht etwa..."
"Hat uns jemand verraten?", Kaddie schlug mit den Handflächen auf den Tisch und starrte sie ungläubig an.
"Vielleicht nicht verraten", gab Dex zu bedenken, "aber sie wussten wohl, wo wir waren. Und von irgendwem mussten sie es haben."

"Seid ihr denn... bekannt hier?" Dann kam ihr die Erkenntnis. "Okay, okay.. Ja..." Diese Sache mit Justins und Kaddies Vater... Natürlich musste der Name der beiden hier bekannt sein. 
"Ich dachte, die Leute hier würden zusammen halten."

"Das tun wir auch", antwortete Dex. "Nur gibt es ein paar, die würde es freuen, wenn wir noch enger zusammen halten."
Kaddies Züge verhärteten sich.
"Die Underdogs", murmelte sie. "Denkst du sie haben uns verraten?"
"Schwer zu sagen", entgegnete Dex und fuhr sich durch den Bart. "Leute an die Regierung zu verkaufen ist eigentlich nicht ihr Stil. Aber wenn man nicht nach ihrer Pfeife tanzt..."