Re-BIRTH (Fortsetzung)

"Wir könnten ihr tatsächlich die Handschellen abnehmen", höhnte Arjan. "Möglicherweise braucht sie mal ein blaues Auge, um auf dem Boden zu bleiben. Tristan, rück die Schlüssel raus."
"Pft", murrte sein Bruder nur und musterte ihn recht wenig begeistert, rührte sich im Allgemeinen aber nicht. "Ich halte es für relativ kontradoduktiv, wenn ihr euch gegenseitig die Zähne ausschlagt."

Livana presste die Lippen zusammen und schaffte es, zu desem Elend von einem Mann aufzuschauen, ihm sogar direkt in die Augen, auch wenn sie dabei das Gefühl hatte, dass ihre Organe vom Bauch in die Beine wandelten und sich zu einem großen Haufen Spaghetti verknoteten. "Ich habe keine Angst", log sie schließlich, die Stimme so fest wie eben möglich.

Barker erwiderte ihren Blick einen Moment mit regloser Miene, bevor er schnaubte und ein schiefes Grinsen zustande brachte.
"Immerhin mutig genug, in meine Visage zu blicken", stellte er fest. "Schonmal ein guter Anfang."
Er sah zu den Jungs.
"Nimm ihnen ruhig die Schellen ab, aber bring sie erst auf ein Zimmer. Das morgen muss klappen und ich lege keinen Wert darauf, dass ihr euch vorher gegenseitig umbringt."

Die Angst war immer noch da, aber nach diesem Kommentar fühlte sich Livana darin bestätigt, es diesem Mann auf irgendeine erdenkliche Weise zu zeigen.
Arjan schnaubte verächtlich und ging schon einmal vor, Tristan seufzte tonlos und wies Livana und Kaddie an, seinem Bruder zu folgen.

Widerwillig folgte Kaddie Tristans Anweisungen und sie wurden von den Brüdern durch ein paar verwinkelte Gänge in eine kleine Lagerkammer geführt, die unter anderem zwei Hängematten enthielt.
Als man ihnen endlich die Schellen abnahm, hätte Kaddie am Liebsten einem der beiden Jungs eine gescheuert, aber sie wusste nicht, mit welchem sie anfangen sollte. Der Unrasierte war ein grober Klotz und hatte Livana Angst gemacht. Aber diese geheuchelte Höflichkeit des Anderen ging ihr fast noch mehr auf die Nerven.
"Dass Barker in Mud Town rekrutiert hatte ich schon gehört", erklärte sie und rieb sich das Handgelenk. "Es wundert mich aber, wie er euch aus eurem beschaulichen Bürgerleben rausreden konnte."

"Sprich keine Dinge an, von denen du keine Ahnung hast", spuckte Arjan aus, bevor er sich umdrehte und verschwand.
Tristan stand einen Moment lang einfach so da, ehe er seufzte, sich leise verabschiedete und ebenfalls in Richtung Tür entschwand.

Kaum war er weg, ließ Livana ihr Gesicht in den Händen versinken.

Kaum war die Tür hinter den Jungs zugefallen, donnerte Kaddies Fuß mit einem heftigen Knall dagegen. Jetzt wusste sie, wen sie mehr hasste und sie schwor sich, diesem Möchtegern-Penner die Fresse zu polieren.
Als sie sich vom ersten Blutrausch erholt hatte, holte sie das wimmernde Geräusch hinter sich auf den Boden der Tatsachen zurück. Livanas völlig zerbrochener Ausdruck ließ sie all den Zorn vergessen. Sie trat auf das Mädchen zu, kniete sich hin und nahm sie in den Arm.
"Du musst das nicht tun, weißt du?", flüsterte sie ihr zu. "Du hast schon so viel für uns getan, du musst niemandem etwas beweisen. Ich werd auch allein mit Barker und seinen Schoßhunden fertig."

"Nein, nein, nein, Kaddie", sagte sie etwas zu schnell und versuchte, nicht ganz so fertig zu klingen wie sie eigentlich war, wobei sie haushoch scheiterte. "Es ist Barker selbst, es geht wieder, es geht... Ich verstehe jetzt deine Mutter in Bezug auf diesen Mann, das ist alles, das ist alles." Livana zwang sich ein Lächeln auf.

Kaddie brachte ein schmales Lächeln zustande.
"Mein Vater war mal mit ihm befreundet, kannst du das glauben?" Sie schüttelte den Kopf. "Ich fand ihn schon gruselig als ich klein war. Es war immer etwas...Dunkles in seinen Augen. Aber jetzt...wenn wir eine andere Option hätten, wäre ich ganz bestimmt nicht hergekommen."

"Du hast wohl Recht." Sie seufzte. "Aber ja, dieses... Dunkle..." Livana konnte es selbst nicht anders ausdrücken, doch um ehrlich zu sein wollte sie sich auch nicht weiter Gedanken darüber machen, weshalb sie in eine der zwei Hängematten kletterte. "Ich geh schlafen. Ich will nicht weiter über das Alles nachdenken müssen."

"Ist vielleicht besser so", sagte Kaddie mit einem Seufzen und legte sich ihrerseits in eine der Matten. Doch fragte sie sich, wie weit Further gehen würde, um sich ihrer Loyalität zu versichern.

"Die Behälter werden fast genau so aussehen", erklärte Barker Arjan und hielt eine Art gläsernes Gefäß mit einer durchsichtigen Flüssigkeit hoch. "Vielleicht in einer anderen Farbe. Nehmt sie an euch und lasst dafür ein wenig Sprengstoff da. Bin mal gespannt, was diese Eierköpfe denken, wenn der Zug in ihrem Bürgerviertel hochgeht."

Arjan nickte langsam und nahm das Gefäß an, musterte es eingehend. "Es geht mich ja eigentlich nichts an", begann er dann, drehte das Glas ein bisschen, sodass die Flüssigkeit darin sanft an die Wände schwappte, "aber warum denkst du, ist es eine gute Idee, mit dem Nonyx-Zögling un dem entlaufenen Experiment zusammen zu arbeiten?" Der junge Mann sah seinen Vorgsetzten dabei nicht an, hatte den Blick zu sehr auf das Gefäß fixiert. Güte, solche Fragen waren eigentlich Tristans Ding, der war so hyperbesorgt.

Barker schnalzte mit der Zunge.
"Ich könnte behaupten, es sei ein Hauch Sentimentalität. Aber wir wissen beide, dass das eine Lüge wäre."
Er nahm noch etwas von dem Kautabak und kaute genüsslich drauf rum.
"Sag mir, Arjan...wie weit würdest du für deinen Bruder gehen?"

Arjan lächelte verbittert. "Das ist eine Fangfrage, oder?" Sein Blick klebte an dem Gefäß und dessen Inhalt, als wäre er davon hypnotisiert worden. "So weit wie nötig", antwortete er schließlich nach einem Seufzer.

Barker schenkte ihm ein Lächeln, mit dem er problemlos ein Baby hätte zum Weinen bringen können.
"Und darauf bauen wir", erklärte er. "Wenn sie irgendwo wie ihr Vater ist, würde sie alles tun um ihren dämlichen Bruder zurückzukriegen. Und das Experiment...lassen wir uns mal überraschen. Immerhin ist sie Kaddie freiwillig hierher gefolgt."

"Na dann." Er überreichte Barker das Gefäß wieder. "Wie du sagtest... Lassen wir uns überraschen."

Als Liana am nächsten Morgen aufwachte, tat ihr Rücken weh. Sie war es einfach nicht gewöhnt, in Hängematten zu schlafen und es generell wohl noch nie gemacht. Spontan fiel ihr auf, dass ein Seefahrer als alten Zeiten wohl nicht ihr Job gewesen wäre.
Sie versuchte, sich aus der Hängematte zu rollen, doch es endete darin, dass sie mit einem Poltern herausfiel und unsanft auf dem Boden aufkam. "Autsch", fluchte sie leise, setzte sich auf. "Kaddie?"

Kaddie schaute auf, während sie sich aus dem Schlaf blinzelte.
"Morgen", brummte sie. Dex hatte bei sich zu Hause eine Hängematte, die sie auch schonmal ausprobiert hatte. Ein Mal und danach nie wieder. Aber sie kam damit schonmal besser zurecht als Livana. "Schlecht geträumt oder konntest du es vor lauter Enthusiasmus nicht erwarten, aus dem Bett zu kommen?"

"Haha, sehr komisch", meinte sie und lächelte schief, während sie mit ihren Blicken den Raum nach einem Fenster absuchte, schließlich auch eins fand. Die Sonne war zumindest schon aufgegangen, aber mehr ließ sich nicht sagen. Es war zu diesig, der Smog Sodoms ließ nicht zu, dass man die Uhrzeit anhand des Firmaments bestimmte.
Livana stand auf, um sich einmal zu strecken und dann zu gähnen. "Denkst du, dass diese Typen uns holen?"

"Will im Zweifelsfall nicht drauf warten." Vorsichtig streckte sie ihre Glieder und räkelte. "Was meinst, wem von den Zwillis soll ich zuerst eine langen?"

"Ich würde sagen", Livana grinste ein bisschen fies, "dem nächstbesten."
Sie streckte sich ein weiteres Mal, dann ging sie zur Tür, stellte aber fest, dass sich diese von innen nicht öffnen ließ. "Verdammte Mistkerle", nuschelte sie.

"Barker ist nicht dumm", meinte Kaddie ernst. "Der lässt uns nicht gehen, bevor er will."
Es stellte sich nur die Frage, wann er sie von der Leine lassen würde.
"Jedenfalls hätte er sicher nicht alle verkommenen Subjekte der Randbezirke unter seine Fittiche gebracht, wenn er so unvorsichtig wäre. Kehr ihm bloß nicht den Rücken zu." Sie wog nachdenklich den Kopf hin und her. "Andererseits...ich schätze, du weißt genau, welchen Leuten man lieber nicht den Rücken zuwendet."

Sie nickte langsam, schaute wieder zur Tür. Ja, sie wusste, wem sie lieber nicht den Rücken zudrehen sollte. Zumal Barker eine Person war, der sie nicht einmal gern das Gesicht zuwandte.
"Ich brauch aber ein Bad." Es klang beinahe flehend, dann klopfte sie an die Tür, auch wenn es ihr dabei etwas an Kraft fehlte. Es war zu früh am Morgen führ Kraft. "Hallo? Kann mal einer aufmachen?"

Zu Kaddies großem Erstaunen öffnete tatsächlich jemand die Tür. Sie hätte sie gefreut, wäre es einer der Zwillis gewesen, doch die Gestalt, die öffnete, sah so hundserbärmlich aus, dass sie beinah Mitleid hatte. Der Kerl hatte blasse Haut, tiefe schwarze Augenringe und die Lider waren halb geschlossen.
"Was is' los?", fragte er.

"Ich muss auf's Klo, bring mich hin", befahl Livana und schaute ihm geradewegs in die Augen. Sie hatte sie Sonnenbrille nicht auf und manchmal war es schön Leuten zuzusehen, wie sie beinahe einen Herzinfarkt bekamen. Und so gruselig Barker auch war, der hier sah aus wie ein Welpe, den man in einem alten Fass ausgesetzt hatte.

Die Lider des Kerls öffneten sich und sein Mund stand einen Moment offen.
"Bringst du uns jetzt hin, oder nicht?", fuhr Kaddie ihn an, als er Livana eine Weile angeglotzt hat. Langsam blickte er zu ihr auf, dann winkte er ihnen zu, ihm zu folgen.
Während er sie zum Klo führte, besah sich Kaddie den Kerl genauer. Die Kleidung war ziemlich zerschlissen, sah aber aus, als wäre sie mal recht teuer gewesen. War der Kerl aus dem Bürgerviertel? Die Augenringe und seine generelle Haltung ließen nur einen Schluss zu.
Ihre Miene verhärtete sich. Dann rekrutierte Barker also auch runtergekommene Junkies aus dem Bürgerviertel? Offenbar konnte man doch immer noch tiefer sinken.

Gerade, als Livana das Bad wieder verließ, kam ihnen auf dem Gang einer der beiden Zwillinge entgegen. Sie hatte die Namen vergessen, aber es war der gepflegtere von beiden, der in einer Hand eine Tasse mit dampfenden Tee hielt und sämtliche Personen, denen er entgegen kam, einen wunderschönen guten Morgen wünschte, so auch Livana, Kaddie und dem Junkie.