[RPG-Thread] Die Stunde der Krähen

Auch der Fürst wurde selbstverständlich seinem Rang angemessen begrüsst. Lothar geizte nicht mit Höflichkeit.
"Oh ja. Sie ist wirklich eine äusserst reizende junge Dame", lächelte er. "Ebenso wie Euer herzallerliebstes Mündel. Es war sehr angenehm mit den beiden Konversation zu führen."
Fafnir runzelte die Stirn. Er beugte sich etwas vor, um nach Jolanda zu sehen. Warum sass er ausgerechnet am anderen Ende des Tisches. ER hätte sich sehr gerne mit ihr unterhalten.
Stattdessen sass er neben Ircia dieser ungehobelten Kröte.

Valimars Gesicht hatte während Grims Erklärungen weiter an Farbe verloren, sodass er nun ungesund bleich um die Nase wirkte. Wenn der Fürstensohn recht hatte – und Valimar betete inständig, dass er das nicht hatte – dann war das alles viel größer, als er sich je erträumt hatte. Und umso schwerer wog die Schmach, der Sache noch nicht Herr geworden zu sein. "Was auch immer ich tun kann um euch bei der Aufklärung dieser... Sache... zu unterstützen, ich werde es tun, Herr", verkündete er loyal, "Sagt, was ihr benötigt und ihr sollt es haben, sofern es in meiner Macht steht."

Oswin registrierte die schmeichelnden Worte des Gastes mit einem wohlwollenden Nicken. Von allen Meliors war Lothar wohl der am wenigsten unangenehme. Eine vernünftige Wahl für einen Gesandten. Und doch, wies der Fürst sich zurecht, er durfte nicht vergessen, dass der junge Mann lediglich das Sprachrohr seines unausstehlichen Vaters war. Diese düsteren Gedankengänge wurden jedoch unterbrochen als das Essen aufgetragen wurde und für einen Moment alle Aufmerksamkeit und insbesondere die des Fürsten in Beschlag nahm.
"Sagt, Lothar, wie war eure Reise?", fragte Oswin später. Ein kleiner Berg abgenagter Rippchen türmte sich auf seinem Teller und seine Finger glänzten vom Fett. "Gab es Zwischenfälle? Und welchen Weg habt ihr von Merrisholt hierher genommen?"

Grim musterte den Grafen eingehend und nickte schließlich bedächtig.
"Ich verlasse mich darauf", sprach er. "Nun, da diese Angelegenheit vorerst geklärt ist, muss ich Euch bitten, mich zu entschuldigen. Es war ein langer Tag und ich werde mich vorerst zur Ruhe begeben. Gebt mir Bescheid, wenn Euer Schmied die Klinge identifiziert hat."
Somit tauschten die beiden einige Abschiedsfloskeln aus und ein Diener wurde angewiesen, Grim sein Gemach zu zeigen. Er beschloss, seinen Leuten vorerst Ruhe zu gönnen. Es war heute schon zu viel passiert, als dass er ihnen weitere düstere Neuigkeiten zumuten wollte. Das Gemach war angemessen, doch guten Schlaf bekam Grim kaum. Seine Gedanken kreisten um seine Angreifer und darum, was in dieser Provinz vor sich ging. Somit fühlte er sich wenig erholt, als er am nächsten Morgen aufwachte.

Es war nun mehr als eine Woche vergangen seit Dared Melior den Brief seines Vaters – oder wohl eher, korrigierte er sich in Gedanken, den seines Bruders – erhalten hatte. Seitdem hatte sich einiges getan. Das Lager war nicht mehr wieder zu erkennen. Mit der Ankunft der Arbeiterkolonne hatte sich das, was zuvor kaum mehr als ein militärisches Zeltlager war, in eine wachsende Siedlung verwandelt. Die ersten Gebäude – freilich nur hölzerne Verschläge, aber solide gezimmert – waren bereits abgeschlossen und auf einem guten Dutzend Baustellen wuchsen weitere Häuser in die Höhe. Eine Vielzahl an Handwerkern – Ziegelbrenner, Holzfäller, Zimmerleute und viele mehr – hatten ihre Lager aufgeschlagen. Überall herrschte geschäftiges Treiben, die Luft war erfüllt vom Geruch frisch geschnittenen Holzes und dem strengen Schweiß der schuftenden Männer, Hämmern, Sägen und die allgegenwärtigen Rufe der Arbeiter bildeten eine vitale Kakophonie. Zufrieden beobachtete Dared vom Rücken eines Zelters aus wie seine Siedlung wuchs. Er war den Vormittag über mit dem Hauptmann seiner Garde auf Jagd ausgeritten und nun eben zurück gekehrt. Die Beute war nicht der Rede wert – mehr als ein paar Fasane hatten sie nicht aufspüren können – doch sie hatten die Pferde zu Höchstleistungen antreiben können und noch immer hatte Dared ein wenig der Röte der Anstrengung auf seinen Wangen. Er war zufrieden mit seinem Leben und sich selbst. Und doch: etwas nagte an ihm. Obwohl alles nach Plan lief fehlte ihm doch die Gelegenheit, sich zu profilieren. Arbeit gab es zwar an jeder Ecke der wachsenden Ansiedlung, nur für ihn selbst gab es wenig zu tun. Und so begann er sich, so fern jeder Stadt, jedes Amusements, jedes weiblichen Wesens – sah man einmal von seiner Cousine ab – zu langweilen. Es wurde Zeit, dass hier etwas geschah!

Das Essen schmeckte wirklich gut. Lothar genoss es, zu essen und somit war er gut gelaunt. Er gab sich Mühe, sich nicht allzu sehr gehen zu lassen, doch im Gegensatz zu Fafnir, der darum bemüht war, keineswegs amüsiert zu wirken, lachte er und unterhielt sich mit jedem, der sich mit ihm unterhalten wollte.
"Bis auf das Wetter war alles gut. Wir mussten einige Zeit im Regen reiten. Doch das war nicht weiter tragisch", erklärte er dem Fürsten.

Lucretia saß an einem kleinen Schreibtisch, der außerhalb ihres Gemachs aufgestellt worden war, und notierte, was die Männer zu berichten hatten. In Ermangelung einer besseren Tätigkeit, hatte sie sich bereit erklärt, die Buchhaltung der Untenehmung zu führen und beaufsichtigte die Fortschritte, die die Arbeiter machten. Es ließ sich durchaus sehen, sie leisteten gute Arbeit und das Lager wuchs schnell. Sie kam nicht drumherum, sich ein wenig davon gelangweilt zu fühlen.
Offenbar war sie da nicht die einzige, denn auf einem Zelter ritt gerade ihr Cousin heran, der von der Jagd zurück kam. Seine Wangen waren gerötet und er machte einen selbstzufriedenen Eindruck, wie sonst auch immer. Nur wer ihn besser kannte, sah, dass irgendetwas nicht stimmte. Und sie kannte ihn schon lange genug, um die feineren Nuancen seiner Gesichtsausdrücke lesen zu können. Etwas nagte an ihm.
Seit ihrem...nächtlichen Zusammentreffen vor etwa einer Woche hatten sie nicht mehr viel Kontakt außer flüchtigen Begegnungen und den üblichen Floskeln geführt. Doch sie zeigte keine Zeichen von Missbilligung oder Abneigung gegenüber Dared. Sah nur kurz interessiert zu ihm herauf, als er bei ihr ankam.
"Wie ich sehe, war deine Jagd erfolgreich, Cousin", bemerkte sie.

"Ich nehme an, ihr habt die Unruheregionen im Süden dann gemieden als ihr hierher geritten seid?", hakte Oswin freundlich nach, "Habt den Fluss also im Norden überquert. Oder habt ihr euch selbst einen Überblick über die Lage dort verschafft?" Er hoffte inständig, dass Lothar diese Vermutung bestätigen würde. Einen Melior, der frei durch seine Provinz reiste und sich aus erster Hand mit Informationen über diese unsäglichen Bauernaufstände versorgte, konnte er beim besten Willen nicht gebrauchen.


"Das hier?" Dared blickte ein wenig verwundert auf das Paar Fasanen herab, das von seinem Sattel hing. "Nicht der Rede wert. Ein Abendessen für dich und mich, wenn der Koch sich Mühe gibt, aber keine wirkliche Beute, liebes Cousinchen." Er schwang sich mit Elan aus dem Sattel, übergab die Zügel einem herbei eilenden Burschen, der das Pferd versorgen würde, und trat dann zu Lucretia um ihr über die Schulter zu sehen. "Irgendwelche besonderen Vorkommnisse seit ich ausgeritten bin?", wollte er wissen während er in ihren Notizen las, "Briefe, vielleicht?"

"Natürlich sind wir auf dem schnellsten Weg gekommen und wollten uns nicht aufhalten lassen. Nach meiner Ankündigung wollte ich Euch nicht länger als nötig warten lassen."
Er lächelte und trank einen Schluck Wein.
"Aber wenn wir schon beim Thema sind. Denkt Ihr Ihr kriegt das bald in den Griff? Aufständische Bauern sind eine Plage."

Lucretia zog eine Braue hoch und ging ihre Unterlagen durch.
"Nein, soweit läuft alles nach Plan", erklärte sie. "Die Arbeiten kommen gut voran, die Wälder stellen eine üppige Holzquelle dar. Wenn es in diesem Tempo weitergeht, können wir schneller mit dem Schürfen beginnen als geplant."
Die blickte fragend zu ihm auf.
"Briefe sind bisher keine eingetroffen. Erwartest du Botschaft vom Patrzier, Cousin?"

Ein unzufriedenes Zucken lief über die Lippen des Fürsten. Schon wieder? Musste dieser Kerl schon wieder damit anfangen? Was erwartete er denn? Dass sich die Lage seit seiner Audienz am Nachmittag grundlegend verändert hatte? Dass Oswin ihm Informationen verschwiegen und sie nun, gesättigt und noch ein paar Glas Wein, bereitwillig ausbreiten würde?
"Ich bin stolz auf meine sicheren Straßen", erklärte er deshalb ungerührt, die Frage des jungen Meliors einfach ignorierend, "Und sollte euer Vater gewillt sein, unsere Differenzen beizulegen, dann werde ich sie noch weiter ausbauen lassen. Gute, breite und sichere Straßen sind so wichtig für ein so weitläufiges Fürstentum wie die Nordermark. Und umso mehr betrübt es mich, dass diese... Unannehmlichkeiten die Reisenden auf ihnen möglicherweise beeinträchtigen. Aber was euch angeht, werter Lothar, ihr müsst euch keine Sorgen machen. Ich werde euch für die Rückreise eine Route heraus suchen, für deren Sicherheit ich mich verbürgen kann. Und so ihr das wünscht, dann werde ich einige Männer meiner Garde als Eskorte mit euch schicken bis ihr den Skallien überquert habt."


"Er ist der Patrizier", erwiderte Dared lakonisch, "Ich erwarte immer Nachricht von ihm. Wer kann schließlich sagen, was in seinem Kopf vor sich geht, was er plant? Und käme etwas an, ich würde ihn nur allzu ungern warten lassen. Du kennst meinen Vater. Er wäre allzu unglücklich darüber..."

Ein Zucken ging über Lucretias Mundwinkel.
"In der Tat, es wäre höchst unklug, seinen Zorn zu wecken", meinte sie und drehte ihre Feder in der Hand. "Und nichts hasst er mehr, als wenn die Dinge nicht nach Plan laufen. Mit deiner Erlaubnis werde ich umgehend einen Brief an ihn verfassen. Der gute Fortschritt beim Ausbau der Schürfstelle wird ihn höchst erfreuen."

"Nein", erwiderte Dared, vielleicht ein wenig zu prompt, "Nein, ich denke nicht, dass ein Brief nötig ist. Mein Vater ist ein vielbeschäftigter Mann und ich will seine Zeit nicht noch weiter beanspruchen, als sie das ohnehin schon ist. Wenn er sich für den Stand hier interessieren würde, dann würde er einen Bericht anfordern... und das hat er nicht getan. Das hier ist mein Projekt. Ich kann das ohne seine Hilfe durchziehen. Auf meine Art. Wenn du ihm schreibst, dann sieht er das nur als Aufforderung, mir von oben Anweisungen zu geben..." Dared war zuversichtlich, dass so viel Offenheit seinerseits Lucretia zufrieden stellen würde. Dabei war das, was er kund getan hatte, lediglich ein Teil dessen, warum er keinen Brief an seinen Vater senden wollte. Denn streng genommen widersetzte er sich mit dem Aufbau der Siedlung ja dem Befehl des Patriziers. Nun, de facto natürlich nur Lothars Befehl – und der hatte ihm solange Vater lebte nichts zu sagen – aber aufgrund des fürstlichen Siegels doch ausgesprochen mit Lucius' Stimme. Und Dared hatte keine Ambitionen, dem Patrizier dies offen ins Gesicht zu sagen. Nicht, bevor er Erfolge in Form von Gold vorzuweisen hatte.

"Vielen Dank für dieses grosszügige Angebot", sagte Lothar mit einem leichten Lächeln.
"Es ist schön, dass Ihr Euch so gut um das Wohl Eurer Gäste kümmert."
Was schliesslich in Anbetracht ihres Verhältnisses nicht ganz selbstverständlich war. Allerdings hegte Lothar den Verdacht, dass Oswin lediglich verhindern wollte, dass er und seine Männer eine Route wählen würden, die direkt an den Unruhen vorbeiführen würden. Einerseits, um die Schmach zu verhindern, dass ein hoher Herr auf seinen Strassen verletzt würde und andererseits, um ihn nicht zu viel davon sehen zu lassen.

Lucretia legte leicht den Kopf schräg und betrachtete ihren Cousin eingehend. Es stimmte, was Dared sagte, der Patrizier wollte keine Berichte ohne Ergebnisse. Doch etwas an der Art wie Dared geantwortet hatte, erregte ihre Aufmerksamkeit. Steckte da womöglich mehr dahinter?
Doch was immer es war, sie entschied sich, sich Zeit zu nehmen, um es herauszufinden. Kein Grund, Dareds Verdacht auf sich zu sehen.
"Natürlich. Du hast recht", entgegnete sie kopfschüttelnd. "Wir wollen schließlich nicht den falschen Eindruck erwecken. Je weniger wir ihm berichten, umso größer wird die Überraschung sein, wenn du Onkel Lucius gibst, was das seine ist."

Grims Frühstück mit dem Grafen Norell fiel kurz aus. Es war nicht mehr als eine kurze Taktikbesprechung in der sie durchgingen, wo die Hauptstützpunkte der Aufständischen waren. Kurz darauf kehrte Grim zum improvisierten Krankenlager zurück, um nach seinen Männern zu sehen.
Die meisten von ihnen schienen wieder halbwegs auf den Beinen zu sein. Grim ließ sich nichts anmerken, doch er empfand es als große Erleichterung. Schließlich trat er zu Alisters Krankenbett, um nach seinem Lebensretter zu sehen.

Faustus ging es erstaunlich gut. Er hatte in der Nacht Schmerzen gehabt, doch fachkundigen Mediziner hatten es verstanden, diese zu unterdrücken.
Dennoch machte er sich Sorgen. Diese Wunde hielt ihn unnötig auf. Und gewissermassen steckte er mitten im Lager des Feindes.
Er hatte die Augen halb geschlossen, als er die schweren Schritte hörte. Also schlug er sie auf und erblickte Grim.
Hastig setzte er sich auf, was ihm einen stechenden Schmerz bereitete.
"Mein Herr!"

Es war frustrierend, mit Lucretia zusammen arbeiten zu müssen. Nach außen hin gab sie sich gehorsam und loyal, befolgte seine Anweisungen bedingungslos und pflichtete ihm in was auch immer er entschied bei, doch Dared war sich nur zu bewusst, dass sie im Stillen ihre eigenen Pläne verfolgte. Pläne, die ohne Zweifel den seinen entgegen gesetzt waren. Daran, dass sie ein Interesse hatte, in Kooperation mit ihm das beste für sich selbst aus dieser Situation heraus zu holen, glaubte er schon lange nicht mehr. Hätte er sie nur nie hierhin mit genommen! Und gäbe es nur einen Weg, sie wieder los zu werden, einen Vorwand um sie zurück nach Merrisholt zu schicken! Aber wie, ohne Verdacht zu erwecken? Es blieb ihm kaum etwas anderes übrig, als erst einmal abzuwarten. Und so lange zumindest den Scheinfrieden aufrecht zu erhalten.
"Es kann nur in unser beider Interesse sein, Vater erst dann zu behelligen, wenn wir Resultate erzielt haben", gab Dared also zu bedenken, dass sie ebenso in dieser Sache steckte wie er selbst, "Und auch wenn bisher alles glatt läuft, so ist es doch noch zu früh um von Resultaten zu sprechen. Warten wir ab. Bis in einer Woche, will ich meinen, können wir mit dem Schürfen beginnen."


Der Abend war lang geworden und für Jolanda nicht eben angenehmer. Der ornenberger Gast hatte sich ganz überwiegend mit Fürst Oswin unterhalten, sodass sie auf ihrer Seite des Tisches isoliert worden war und noch immer nagte an ihr, wie Ircia trotz ihres so furchtbar undamenhaften Charakters alles in den Schoß zu fallen schien, während sie selbst gegenüber der Fürstentochter nur verblassen konnte. Also hatte sie – was sie sonst im Grunde nie tat – Trost und Zerstreuung im Wein gesucht. Und über dem Wein hatte sie ganz vergessen, wie die Zeit verstrichen war. Schließlich verabschiedete Lothar sich und kurz darauf erhoben sich auch der Fürst und seine Tochter. Jolanda versuchte es ihnen gleich zu tun, doch in dem Moment, als sie sich erhob – Ircia und Oswin hatten den Saal glücklicherweise bereits durch die Hintertür verlassen – trat die Wirkung des Alkohols mit aller Wucht ein. Etwas in der Art hatte Jolanda noch nie verspürt. Sie war unsicher auf den Füßen, musste sich an der Lehne ihres Stuhls festklammern.
"Fafnir...", bat sie den einzig Verbliebenen am Tisch um Hilfe, "Du... du wirst mich... in mein Zimmer bringen müssen..."

Gerade hatte Fafnir sich erheben wollen, um ebenfalls zu gehen. Der Tag war lang gewesen, er hatte getrunken und war müde. Er blickte zu Jolanda, als diese ihn mit dünner Stimme ansprach. Ihre Wangen waren gerötet, der Blick glasig.
Hatte sie zu viel Alkohol getrunken oder ging er es ihr sonst nicht gut? Er trat zu ihr, um sie zu stützen.
"Selbstverständlich", lächelte er. "Halt dich an mir fest."

In ihrer beider Interesse? Soso. Das klang beinahe, als wolle er sie an der Nase herumführen. Sie davon überzeugen dass sie auf seiner Seite am besten aufgehoben war. Fast als glaube er, seine Aktion her könnte jemandes Zorn erregen.
"Es stimmt, wir sollten unsere Zeit nicht mit unnötigem Austausch von Floskeln verschwenden", pflichtete sie ihm bei und legte die Feder weg. "Im schlimmsten Fall merkt noch jemand dass auf einmal Boten den oberen Skallien hinauf und hinunter reiten. Und wir wollen die Bären jenseits des Flusses ja nicht früher aus ihrem Winterschlaf wecken als nötig."

Grim versuchte sich möglichst wenig anmerken zu lassen, doch innerlich seufzte er erleichtert auf. Zumindest sein Lebensretter weilte noch unter den Lebenden. Wenigstens ein wohlwollendes Schmunzeln konnte er sich nicht verkneifen.
"Es scheint, als brauche es mehr als einen Pfeil in der Brust, um einen Mann wie Euch aufzuhalten, Alister", begrüßte er ihn. "Hätte ich Euch früher getroffen, hätte ich glatt darüber nachgedacht, Euch in meine Truppe aufzunehmen."
Kurz legte sich ein Schatten über sein Gesicht.
"Andererseits zieht Ihr vielleicht ein Handwerk vor, das weniger gesundheitsschädigend ist."

Es war ein gutes Gefühl, Fafnirs starke Präsenz an ihrer Seite zu wissen. In diesem Moment erschien er Jolanda wie einer der alten Ritter der Legenden, der an die Seite der Jungfrau geeilt kam um diese zu beschützen. Sie legte ihm die Hand auf die Schulter, klammerte sich so würdevoll das eben möglich war – schließlich fanden sich noch immer genug Augen im Saal – an ihm fest. Spürte, wie er ihr die Rechte stützend auf den Rücken legte. Es kostete Jolanda gewaltige Willensanstrengung, gerade und aufrecht die wenigen Schritte zur Tür zurück zu legen. Alles in ihrem Kopf drehte sich und wäre da nicht Fafnirs Präsenz an ihrer Seite gewesen, sie hätte kaum gewusst, wo oben und unten war. Ihre Anstrengung hielt jedoch nicht länger an als bis die Tür hinter ihnen ins Schloss gefallen war. Dann überkam sie ein neuerlicher Schwindelanfall. Sie taumelte, klammerte sich mit beiden Armen um Fafnirs Hals. Und dann, als sie so an ihm hing, den Kopf gegen seine Brust gedrückt, seinen Duft in der Nase, beruhigte sie sich schlagartig.
"Es ist schön, dich hier zu haben, Fafnir", murmelte sie mit geschlossenen Augen.

Faustus seufzte leise auf und legte sich die Hand auf die Wunde, ehe er sich langsam zurücksinken liess.
"Ich denke nicht, dass ich mit euren Männern mithalten kann. Meine Künste beschränken sich … auf eine Hand voll Übungen mit einem alten Ritter …"
Er erinnerte sich nur zu gut an die ersten Wochen unter der Herrschaft der Meliors. Lucius hatte darauf bestanden, dass er trainieren sollte. Er war einer der ersten gewesen, die aufgestanden sind und einer der Letzten, die zu Bett gegangen sind. Kampftraining, Umgangsformen lernen, Botengänge … und dies von früh bis spät. Seine Muskeln hatten gebrannt, die blauen Flecken gepocht, doch irgendwann war er gut genug gewesen, dass Lucius ihn ausserhalb der Stadt hat Aufträge erledigen lassen. Er war beileibe nicht so gut gewesen wie ein Ritter. Nein, davon war er weit entfernt gewesen und geblieben. Er hatte nur so viel gekriegt, dass es ihm reichen konnte, seine Haut das eine oder andere Mal zu retten. Schliesslich war sein Leben weniger wert als das eines Rindviehs.


Als sie stolperte, schloss er automatisch seine Arme um sie. Er blickte auf sie hinab und spürte, wie sein Herz zu pochen begann.
Ihre Worte verschlugen ihm regelrecht die Sprache. Sie wollte ihn? Sie mochte ihn?
Fafnir hatte keine Ahnung, was er dazu sagen sollte.
"Ich … das berührt mich zutiefst, meine edle junge Dame", flüsterte er schliesslich und atmete tief durch.
Er wusste nicht, ob es eine gute Idee war, sie in diesem Zustand zu ihrem Gemach zu tragen. Wenn sie dabei gesehen wurden, würden die Gerüchte sich sehr schnell ausbreiten, was nicht nur ihm, sondern vor allem auch ihr schaden konnte.
"Komm … ich bringe dich zu Bett", sagte er dennoch und versuchte sie zum Gehen zu bewegen. Vielleicht traf er unterwegs eine Zofe, die ihm helfen konnte. Auch wenn er irgendwie hoffte, dass dem nicht so sein würde.

Grim fuhr sich durch den Bart und musterte ihn eingehend.
"Was immer er Euch beigebracht hat, es hat sich bezahlt gemacht", beschloss Grim. "Ihr habt immerhin überlebt. Das ist mehr wert, als die alten Lieder einen glauben lassen wollen."
Er schüttelte den Kopf.
"Wenn ich daran denke, dass Ihr mit uns reisen wolltet, weil Ihr Schutz in diesen unruhigen Zeiten gesucht habt. Und nun wart Ihr derjenige, der mich beschützt hat. Welch eine Ironie. Wie dem auch sei", er legte seine Hand auf die Schulter des Mannes, "ich stehe tief in Eurer Schuld, Alister. Was Ihr für mich getan habt werde ich Euch nicht vergessen."

Faustus blickte Grim einen Moment lang fest in die Augen. Sollte er es ihm sagen? Dass er in Wahrheit ein Spion der Melior war? Konnte er darauf vertrauen, dass Grim sein Versprechen hielt? Womöglich war der Sohn des Fürsten dazu in der Lage, ihn zu befreien. Doch anders gesehen … Grim war ein aufrichtiger Mann. Bestimmt hielt er nichts von Dieben und Obdachlosen.
"ich habe nur getan, was ich tun konnte. Ich war lediglich zufällig in Eurer Nähe."

Grim musterte Alister und konnte sich ein kicherndes Geräusch nicht verkneifen.
"Im einen Moment prahlt Ihr mit wilden Abenteuern und im Nächsten stellt Ihr Euren eigenen Ruhm in den Schatten", stellte er fest. "Wenn Ihr nicht aufpasst, werdet Ihr bald noch der Held Eurer eigenen Geschichte, Alister."
Einen Moment schien er nachdenklich ins Leere zu blicken, bevor er sich wieder fasste.
"Wie dem auch sei, das Mindeste, was ich für Euch tun kann, ist Euch Schutz zu gewähren. Solange meine Mission hier andauert, seid Ihr einer meiner Männer und werdet einen Platz in der Burg haben. Hier solltet Ihr sicher sein." Seine Miene verhärtete sich, als er an das dachte, was auf ihn zukam. "Vorläufig zumindest."

"Vielen Dank", sagte Faustus. "Die Heiler meinten, dass der Pfeil keine tiefe Wunde hinterlassen hat. Sie denken, dass die Wunde relativ rasch verheilen wird …"
Er lächelte schief.
"Ich werde es überstehen und daraus eine Geschichte machen, die noch keiner gehört hat aber an die sich jeder erinnern wird."

Irgendwie musste es Fafnir gelungen sein, Jolandas Griff um seinen Hals zu lösen, denn das nächste, an das sie sich erinnerte, war, wie sie sich mit beiden Händen an seine Schulter klammernd durch die Gänge führen ließ. Die Augen hatte sie noch immer geschlossen. Es wäre ihr in diesem Moment so unendlich schwer gefallen, sie zu öffnen. Und Fafnir würde den Weg schon finden. Er war so gut zu ihr. So lieb. Er war so ein zauberhafter junger Mann.
Irgendwann blieb Fafnir neben ihr stehen. Obwohl sich alles in Jolandas Kopf drehte zwang sie sich die Augen zu öffnen. Und nach einer Weile erkannte sie auch, dass sie sich unmittelbar vor der Tür ihres Zimmers befanden. Das war wohl – wurde ihr bewusst – der Moment, in dem sie Fafnir los lassen musste. Widerwillig löste sie sich von ihm, kam unsicher auf den eigenen Füßen zu stehen. Der verfluchte Boden unter ihr schwankte ganz fürchterlich und irgendwie war ihr Sicht ganz verschwommen, doch es ging.
"Gute... gute Nacht, Fafnir", gab sie undeutlich von sich und gab ihm dann kurzentschlossen – damit sich selbst wie wohl auch ihn überraschend – einen Kuss. Auf die Lippen. Doch er endete so rasch wie er begonnen hatte. Mit einem plötzlichen Gefühl von Schuld löste Jolanda sich wieder von Fafnir und wandte sich hastig ihrer Zimmertür zu. Das war der Moment, in dem der schwankende Boden seine tückischen Ziele erreichte...