Eine unerwartete Reise

"Nun ja gut. Ich verstehe schon, nach den Ereignissen in den Bergen wäre ich auch nicht gerne alleine, das ist schon wahr", murmelte Leaf und klopfte ihm aufmuntert mit der Hand auf eine Schulter.
"Passt einfach auf Euch auf, ich bin mir sicher, dass die Person, die hier lebt, gefährliche Fallen aufgestellt hat, insofern sie kein Hirngespenst dieses Taugenichts ist..", murmelte er dann, während er sich wachsam umsah.

Nathanael blickte kurz zu Leaf hinauf und lächelte dann leicht, während er sich in dem Wald umsah. Überall nichts als Bäume, ein paar interessante Pilze, aber ansonsten? Wo könnten die hergekommen sein?
"Ich glaub da bewegt sich was", flüsterte Shia ihm zu. "In der Richtung."
Nath blickte in die Richtung, die Shia angegeben hatte. Dann blickte er zu Leaf und deutete dorthin.

Leaf blickte ihm nach und sah da tatsächlich eine schemenartige Bewegung.
Es war wirklich bewundernswert, was für eine gute Auffassungsgabe Nathanael hatte. Er wäre sicher ein guter Soldat geworden!
Er deutete Nath mit einem Handzeichen an, zu warten und drückte ihm auch seinen Bogen vorerst mal in die Finger. Der half ihm in so einer Situation auch nicht viel. Stattdessen nahm er ein kleines Messer hervor und schlich dann damit in die Richtung. Er war zwar nicht so gut im Umgang mit diesen Klingen, aber vielleicht würde es den Gegner wenigstens einschüchtern.

Einen Augenblick verlor Nathanael die Gestalt komplett aus den Augen und betrachtete fasziniert den riesigen Bogen in seiner Hand.
"Versuch besser nicht, damit zu schießen", wies Shia ihn an. "Der ist dir zu groß, da tust du dir nur weh."
Nathanael nickte abwesend und blickte dann wieder zu Leaf hinauf. Was sich hinter ihm abspielte, verlor er einen Augenblick aus den Augen.

Leaf erreichte den Ort der Bewegung und mit einem möglichst gefährlichen Aufschrei stürzte er nach vorne, um die Gestalt zu erwischen. Tatsächlich schien er auch Erfolg damit zu haben, denn wenn man auch nicht viel davon sah, weil er sich mitten in ein grosses, dorniges Gebüsch gestürzt hatte, das starke Rascheln in diesem so wie ein schrilles Quieken zeugten von dem Fang.

Irritiert blinzelnd konnte Nathanael die Augen kaum von dem Kampf wenden den Leaf sich dort offenbar gerade lieferte.
"Meinst du, der packt das?", wunderte sich Shia. "Nicht das wir ihn nochmal rausschneiden müssen."

Aber anscheinend packte er es. Denn nach einigen Momenten kam er wieder auf die Beine. Zerkratzt, aber in einem Stück und ohne die Dornen mit sich zu reissen. Dafür hatte er etwas anderes mit hoch gerissen. Dieses etwas stellte sich als ein unglaublich zerlumpter Kerl heraus, der nun, da er so eisern am Kragen festgepackt wurde, wild herumfuchtelte, quiekte und um Gnade bettelte.
"Bitte! Bitte! So lasst mich doch! Ich habe nichts Böses getan!", heulte er und bei jedem neuen Wort zuckte seine Nase und seine dunklen Augen sprangen nervös von Leaf zu Nathanael und zurück.

Nathanael wusste nicht so recht, was er davon halten sollte, starrte einfach nur mit großen Augen die Person an, die Leaf da in der Mangel hatte.
"Ganz schön abgerissener Kerl", murmelte Shia. "Erinnert mich irgendwie an unseren Landstreicher."
Der Junge kramte aus seinem Beutel eine kleine Kupfermünze hervor, und hielt sie dem Kerl mit ernstem Gesicht entgegen.

Während Leaf nicht direkt wusste, was er jetzt von dieser Geste halten sollte, blickte der abgerissene Kerle auf einmal gebannt für einen Augenblick zu Nathael und das Kupfer in seinen Fingern, ehe er nervös nach links und rechts und zu Leaf blickte und kaum wusste, wohin mit seinen Händen. Wohin wusste er dann einen Augenblick später, als er wie wild nach dem Kupferstück fuchtelte und sich dabei aus dem Griff des Soldaten zu winden versuchte. Leaf ächzte und packte ihn fester an, zerrte ihn ein wenig zurück, dass er Nathanael nicht noch zu nahe kam.

Nathanael zuckte erschrocken zurück und entschloss sich, das Kupferstück wieder wegzustecken.
"Ich glaub, wir müssen anders vorgehen, wenn wir das Gold wiederhaben wollen", schlug Shia vor. Nathanael seufzte leicht und trat wieder an den Mann heran, als Leaf ihn wieder halbwegs im Griff hatte, um seine Taschen zu durchwühlen.

Als Leaf erkannte, was Nath vorhatte, schlang er seine Arme fest um den Oberkörper des zerlumpten Kerls, damit er nicht erneut seine Hände nach dem jungen Mönch ausstrecken oder ihn gar mit seinen dreckigen, langen Fingernägeln kratzen konnte.
"Passt auf, Bruder Nathanael, dieser Mann ist eindeutig krankhaftem Wahnsinns erlegen!", warnte er ihn, während er seine ganze Kraft dazu benötigte, den Mann festzuhalten, der sich natürlich immer mal wieder wand, zuckte und dazu herumquiekte und heulte.
"Es ist doch nicht meine Schuld, ich habe nichts getan!", jammerte er.
In den Taschen hatte der Kerl so einiges. Von Tannzapfen über Steinchen hin alles mögliche, jedoch tatsächlich auch einige einzelne Goldmünzchen und ein-zwei Schmuckstücke, die in ein völlig zerknittertes, beschriebenes Papier eingewickelt waren.

Stirnrunzelnd ließ Nathanael die Steine und Tannenzapfen zu Boden fallen. Es waren nicht einmal Feuersteine, oder besonders seltene Minerale, sie schienen ganz gewöhnlich zu sein. Die Schmuckstücke hielt er kurz gegens Licht. Sie sahen nicht aus, als würden sie Ferik gehören.
"Sei bloß vorsichtig mit dem Kerl, Nath", flüsterte Shia ihm zu. Der Kerl hatte ganz eindeutig nicht alle Tassen im Schrank. Da wäre ihr die Gesellschaft vom Landstreicher sogar noch lieber gewesen.
Nathanael entfaltete das Blatt, in dem die Wertgegenstände eingewickelt gewesen waren. Das merkwürdige Gekrakel hinterließ eine verwirrte Miene auf seinem Gesicht. Er hielt es Leaf hin, damit dieser es selbst näher betrachten konnte.

Leaf betrachtete das Dokument auch kritisch im Dämmerlicht des Waldes, doch er konnte kaum was davon entziffetn. Das ständige Zerknittern wie auch Nässe und Dreck hatten die Tinte in verzerrte Flecken verwandelt und auch das papier selbst hatte gelitten.
"Das gehört mir nicht, nein, nein!", rief der Zerlumpte und schüttelte den Kopf.

Nathanael verzog missmutig das Gesicht zeigte zunächst auf den Mann und tippte sich dann mit dem Zeigefinger kreisförmige Bewegungen an der Seite seines kopfes um anzudeuten, der Mann habe den Verstand verloren.
Er wühlte noch ein wenig in den Taschen herum, doch er glaubte nicht, dass diese paar Goldmünzen Feriks ganzen Besitz dargestelle hatten. Missmutig blickte er wieder zu Leaf heraus und schüttelte den Kopf.

Leaf nickte. An sich hätte er ja vermutet, dass so ein Mann mehr wissen konnte, immerhin traf man hier nicht so oft auf Leute, dachte er sich zumindest so. Aber da man von dem Kerl so oder so nicht viel erwarten konnte.. musste Herr Wegener halt auf seinen Geldbeutel verzichten.
"Ich denke, wir fesseln diesen Mann vorerst an einen Baum, damit er uns nicht mehr gefährlich werden kann. Dann gehen wir zurück und holen unsere Sachen."

Während Leaf den Mann in Richtung eines er nahen Bäume zerrte, fiel Nathanaels Blick noch einmal auf das Papier. Kritisch musterte er die Zeichen auf dem Block. Er zog die Brauen zusammen, als er den eigenartigen Mustern folgte. Er folgte ihnen mit den Augen und...konnte den Blick auf einmal nicht mehr abwenden. Kam es ihm nur so vor, oder...bewegten sie sich?
"...th...ath...Nath?"
Er nahm Shias Stimme nur noch am Rand wahr.

Leaf bemerkte davon leider noch nichts. Er war viel zu sehr damit beschäftigt, den Mann mit sich zu schleifen, der nun wieder laut heulte, quiekte, flennte und jammerte. Und zudem hin auch wieder handgreiflich wurde. Einmal mehr wünschte er sich einfach nur wieder den Kommandanten und die anderen Männer hier zu haben. Die hätten diese Situation viel besser gemeistert als er alleine.

So langsam begann Shis, sich Sorgen um ihren Freund zu machen.
"Nath, jetzt hör mal!", kam es nun etwas lauter von ihr und ihr Freund schreckte auf, blinzelte verwirrt, schaute nachdenklich hin und her, bis sein Blick den von Shia traf.
"Nath, leg das Ding besser weg", flüsterte sie. "Ich hab ein ungutes Gefühl dabei."
Erst zögerte der junge Mönch, doch dann nickte er. Doch auf einmal begannen die verlaufenen Worte zu glühen. Doch bevor er sich weiter damit befassen konnte, spürte er auf einmal ein Stechne an seinem Fuß.
Er verzog schmerzhaft das Gesicht und bückte sich nach dem Angreifer. Doch was er da zu fassen kriegte verwirrte ihn. Was da nach seinem Bein geschnappt hatte, sah aus wie ein kleines Nagetier.

Selbst durch das Gefiepe des Verrückten hindurch hatte Leaf nun deutlich etwas gehört, was sich weiblich und nach Stimme angehört hatte und auch wenn er immer noch nicht verstehen konnte, was ihm seine Ohren da für einen Streich spielten, sah er irritiert zu dem jungen Nathanael, der da eine.. Ratte, Maus, Eichhorn, irgendwas gepackt hatte?
"Bruder Nathanael, woher habt Ihr nun auf einmal dieses Tier? Fasst es bloss nicht an, es hat vielleicht die Tollwut, wenn es uns so nahe gekommen ist!"

Nath blickte das Tier, das wie eine übergroße braune Ratte aussah, nun näher an. Es hatte ein borstiges Fell, spitze Zähne und einen langen, wurmartigen Schwanz. Es geiferte leicht und sah ihn aggressiv an.
Ohne weiter darüber nachzudenken, schleuderte er es von sich. Er musste baldmöglichst die Bisswunde desinfizieren. Die Ratte fiel zu Boden, machte aber keine Anstalten sich umzudrehen. Sie blickte weiter knurrend zu Nathanael und Leaf.
Und neben ihr tauchte plötzlich eine zweite auf. Und eine dritte.
Nathanaels Augen weiteten sich, als immer mehr Ratten aus dem Unterholz auftauchten. Bald waren es mehr, als dass er sie zählen konnte, und sie alle hatten ihren Blick auf die beiden gerichtet.

Auch Leaf liess nun definitiv von dem zerlumpten Kerl ab und er starrte ins Unterholz. Zuerst verwundert, dann ziemlich perplex.
"Ein taktischer Rückzug wäre vielleicht keine so schlechte Idee", vermutete er schluckend.
Oder würden plötzliche Bewegungen sie vielleicht erst recht auf sie hetzen? Aber wie bekämpfte man so viele Ratten? Er hatte ja nicht einmal eine effektive Waffe, denn ein Messerchen reichte lange nicht gegen so viele Tiere und der Bogen liess ihm auf die kurze Distanz auch keinen Vorteil.

Nathanael nickte nur bekräftigend und wich einige Schritte vor den Ratten zurück, die sich langsam näherten. Den verrückten Mann hatte er völlig aus den Augen verloren.
"D-d-das sind verdammt viele...", murmelte Shia. Der junge Mönch bemerkte gar nicht mal, dass das Papier in seiner Hand inzwischen noch intensiver glühte als vorher.

"Gut.. In dem Fall.. I-ich ähm.. überlasse Euch den Vortritt", ächzte der Soldat, jedoch blieb auch er nicht mehr lange stehen, denn tatsächlich nahmen die Ratten ihre Verfolgung auf. Und so langsam waren die nicht.

Kaum hatte Leaf seinen Satz beendet, hatte Nathanael eine Kehrtwende gemacht und rannte schnurstracks in die andere Richtung. Immer wieder blieb seine weiter Robe an kleinen Ästen und Zweigen hängen, und riss an einigen Stellen auf. Sie war einfach nicht gemacht, um ein solches Gebiet zu durchqueren.
Er stolperte über Stock und Stein doch hinter sich vernahm er aggressives Quietschen. Ein Blick über die Schulter verriet ihm, dass die Rattenarmee ihnen dicht auf den Fersen war. 
"Schneller Nath, schneller!", kam es nun leicht panisch von Shia. "Wir müssen irgendwohin, wo sie uns nicht folgen können!"
In fieberhafter Eile blickte Nath sich um, warf prüfende Blicke zu den Stämmen und Baumkronen.

In diesem Moment war Leaf sehr froh um das strenge Training in der remanischen Armee. Runden durch den Park und ums Schloss oder die ganze Stadt rennen war zwar nie wirklich sein Lieblingssport gewesen, aber nun zahlte es sich aus. Aber die Biester waren schnell, wenn eine zu nähe kam, schlug er mit dem Ende seines Bogens nach ihr, aber er war sich sicher, wenn einer von ihnen fiel, war es aus. Ein Rattenbiss war kaum tödlich, aber hunderte Rattenbisse..
Wieder hörte er diese hohe, zarte Stimme von Bruder Nathanaels Seite aus und er war sich inzwischen sicher, sich nicht verhört zu haben. Aber er hatte keine Zeit, genauer nachzuschauen oder gar darüber nachzudenken. Dass ein irres Kichern und Lachen ihnen hinterherhallte, machte die Situation auch nicht besser.
War der Waldrand zuvor nicht noch viel näher gewesen?