Eine unerwartete Reise

Nathanael hatte seinen Blick fiel zu sehr auf die Baumkronen gerichtet, und zu wenig auf den Boden. So war es kein Wunder, dass er den leichten Abhang nicht sah, den sie erreichten.
"Nath, pass auf!", rief Shia ihm noch zu. Doch zu spät. Der Junge verlor das Gleichgewicht und purzelte herunter. Shia wäre wohl zerquetscht worden, wäre sie in seinem Schal geblieben. Kurz bevor er aufschlug, schwang sie sich heraus und sah besorgt ihrem Freund hinter her, der unsanft herunterrutschte.
"Nath", kam es besorgt von ihr und besorgt näherte sie sich ihrem Freund, der sich desorientiert eine Hand an die Stirn hielt.

Leaf war durchaus verwirrt, als der Junge Nathanael auf einmal mit so einer Geschwindigkeit an ihm vorbei und davonstürzte. Erst recht, als die Stimme in seinem Schal sich als ein blauer.. Schmetterling? entpuppte. Jedoch hatte er keine Zeit, das blaue Ding genauer anzuschauen, stattdessen fixierte er sich auf Nath, als er zu ihm hinunterschlitterte und ihn dann hinten an der Kutte packte, um ihn wieder auf die Beine zu zerren.
Zu fragen, ob in ihrer Situation bei ihm noch alles in Ordnung wäre, war reichlich sinnlos, so liess er es gleich ganz sein und drehte sich um, sich dem Feind zu stellen. Zuerst rannten sie vor einem Steinmenschen und liessen dabei den mutigen Hauptmann und die anderen Gefährten zurück und nun rannten sie wieder! Das konnte doch nicht sein.

Nathanael blickte nervös zwischen Shia, Leaf und dem Rattenrudel hin und her.
"H-he! Lass den Blödsinn!", wandte Shia sich nun an Leaf. Er hatte sie sowieso gesehen, da konnte es ihr egal sein, wenn er sie auch hörte. "Du kannst unmöglich gegen so viele auf einmal gewinnen!"
Doch was sollten sie sonst tun? Die Mistviecher waren zu schnell um ihnen zu entkommen, auf Dauer würden sie das nicht durchhalten.
Nath schien dasselbe erkannt zu haben und blickte an sich herunter. Alles was er am Gürtel hatte, waren seine Sichel und seine Kräutertasche. Allein mit seiner Sichel würde er sich niemals...
Auf einmal erhellte sich etwas in seinem Gesicht. Hastig griff er in den Beutel und nahm den beutel mit dem blauen Pulver hervor, dass er zuvor in den Bergen eingesammelt hatte.
Shia war so mit Leaf beschäftigt gewesen, dass sie zuerst gar nicht erkannt, wie ihr Freund vortrat und etwas von dem blauen Pulver auf das Holz vor ihnen streute.
"...wir sollten lieber...ähm, Nath was machst du da, bring dich in Sicherheit!"
Doch Nath tat nichts dergleichen, sonder bedeutete ihnen mit der Hand zurückzutreten, während er einen Feuerstein aus seiner Tasche kramte.

Der blaue Schmetterling hatte schon recht, die Ratten hätten ihn wohl ziemlich schnell umgerannt und zu Tode gebissen. Keine schöne Vorstellung zu sterben, aber fliehen war auch keine Option, sie verliefen sich nur immer weiter im Wald.
Als die helle Stimme erneut erklang, fuhr auch er wieder erstaunt herum und sah, was der junge Nathanael da tat. Zuerst war er verwirrt, weil er nicht wusste, was das werden sollte. Als er es erkannte, war er immer noch ein wenig irritiert. Er wusste ja nicht genau, woher er das Pulver hatte und was es bewirken würde. Aber der Mönch schien genau zu wissen, was er tat, also vertraute er einmal darauf, dass er es schon oft getan hatte und trat einen halben Meter nach hinten, auch wenn er die Waffen angriffsbereit erhoben hatte. Das Messer war wieder eingesteckt, aber in Griffnähe, gegen so viele Gegner war es nicht so praktisch. Dafür hatte er den Bogen wieder zurückerobert während der Flucht, mit dem dicken Stück Holz konnte man doch wenigstens einige wegschlagen, wenn sie zu nahe kamen.

Das Pulver hatte genau das getan, was in den Büchern beschrieben worden war. Sie hatten dem Boden, den Pflanzen, dem Holz und sogar teilweise der Luft die Feuchtigkeit entzogen und waren nun zu Kristallen angeschwollen. Doch er hatte keine Zeit sie zu bewundern. Hastig nahm er Feuersteine aus dem Beutel und schlug sie gegeneinander. Shia, die sich ebenfalls etwas hinter ihn zurückgezogen hatte, blinzelte zunächst verwirrt, doch dann starrte sie ihren Freund mit offenem Mund an.
"N-n-nath,du willst doch nicht..."
Die Ratten hatten sie schon fast erreicht als der Funke endlich auf den trockenen Waldboden überging. Der in einer plötzlichen Stoßflamme Feuer fing. Nathanael taumelte erschrocken zurück als sich das Feuer plötzlich über den trockenen Boden ausbreitete und die Ratten zurückweichen ließ.

Auch der Bogenschütze strauchelte nach hinten und sah das Feuer ungläubig an. So etwas hätte er von dem jungen Bruder Nathanael nie erwartet gehabt, er wäre schon gar nie auf die Idee gekommen und dann noch so.. doch relativ waghalsig. Aber es schien seine erzielte Wirkung getroffen zu haben, denn die Ratten getrauten sich nicht, das Feuer zu durchspringen. Einen Augenblick wusste er nicht genau, was tun, dann jedoch fasste er sich wieder und blickte zu Nath und Shia.
"Wir sollten dieses Manöver ausnutzen, um gezielt von hier fort zu kommen."
Hätte er nur noch gewusst, welche Richtung sie aus dem Wald führte! In diesem Dickicht konnte man sich kaum orientieren.

Als Nath sich vom Schock der plötzlichen Reaktion erholt hatte, sah er sich hilfesuchend um. Doch wohin er auch sah, überall Wald. Doch bevor er oder Leaf irgendwas Unüberlegtes tun konnten, mischte Shia sich ein.
"Der Waldrand ist zu weit weg", rief sie und deutete in eine bestimmte Richtung. "Aber hier in der Nähe gibt es einen Unterschlupf. Eine Höhle, ein Haus, ich bin mir nicht sicher. Aber ich würde vorschlagen dass wir es erstmal damit versorgen. Ich hab nämlich nicht unbedingt vor, als Spanferkel zu enden!"

Er war immer noch irritiert ab dem Anblick der kleinen blauen Fee. Doch akzeptierte er ihre Anwesenheit vorerst. Nachfragen konnte er immer noch später, wenn sie nicht mehr in solch akuter Gefahr waren. Also nickte er hastig und legte dann eine Hand an Nathanaels Schulter, um ihn in der Nähe zu behalten.
"Dann zeigt uns den Weg."
Die Hitze der Flammen hatte ihm schon Schweiss auf die Stirn getrieben.

Das Feuer breitete sich immer weiter aus und der Rauch trieb Nathanael Tränen in die Augen. Er musste sie zusammenkneifen und war infolgedessen sehr froh um die Leefs Gesellschaft.
"Hier..." Shia unterbrach kurz um zu husten "...lang."
So schnell es ging flog sie von den immer stärker werdenden Flammen davon, die beiden Männer folgten kurz darauf. Schließlich, als ihre Lungen vor Anstrengung brannten sahen sie vor sich, auf der anderen Seite eines kleinen Baches, eine riesige Felsklippe, die an ihrer höchsten Stelle über die Bäume hinwegblickte. Ein schmaler Pfad führte ein Stück daran hinauf zu einer Höhle, die in den Berg zu führen schien.
"Dort...müssten wir...sicher...", setzte Shia an, doch ihr Flattern wurde immer unregelmäßiger bis es aussah, als stürze sie zu Boden. Doch kaum drohte seiner Freundin Gefahr, stürzte Nathanael nach vorne, seine eigenen Schmerzen ignorierend und fing sie in beiden Händen auf.
Shia lächelte zu ihm.
"Alles...in Ordnung...", keuchte sie. "Bin bloß ein wenig...erschöpft..."

"Beeilt euch, Bruder.. Nathanael", nuschelte Leef mit trockenem Mund hinter dem rauen Stoff seines Ärmels hervor. Als Schutz vor den Flammen hatte er sich diesen vor Mund und Nase gedrückt und dennoch war ihm schwindelig, so voll war die Luft mit den Rauchpartikeln. Das Feuer hatte sich ausgebreitet, man hätte es gar nicht glauben können, dass ein Wald so brennen konnte. Ob es hier oben oft regnete? Er hoffte es, er hoffte es.
"Es ist nicht mehr weit!"

Nathanael tränten die Augen von dem Rauch und er zog seinen Schal über Mund und Nase, in der Hoffnung, das würde ihn vorm Ersticken retten. Die schlechte Luft machte ihnen den Anstieg nicht zwangsläufig leichter, doch schließlich waren sie bei der kleinen Höhle angelangt.
Man konnte im Inneren kaum etwas sehen, doch als sie bei der feuchten Wand angelangt waren, sackte Nathanael daran zusammen und atmete schwer. Besorgt hob er Shia wieder hoch. Die kleine Fee wirkte völlig erschöpft und hustete, doch offenbar schien es ihr noch gut zu gehen.
"Keine Sorge", beschwichtigte Shia ihren Freund und rang sich zu einem Lächeln durch. "Ich bin in Ordnung."
Erleichtert hob der Junge sie hoch und bettete sie behutsam in seinem Schal.

Auch der Soldat ging in die Knie und atmete tief und schwer ein. Die kalte, feuchte Luft tat gut. Einige Male hustete er, dann sah er zum Eingang der Höhle. Doch die kleine Fee schien recht zu haben, das Feuer erreichte sie hier nicht. Was für ein Glück.
"Ich hoffe, das Feuer zerstört nicht zuviel.."
Und hoffentlich griff es nicht auf die ganzen Wiesen über, von denen sie hergekommen waren. Nicht, dass es ihm schade um Wegener gewesen wäre, aber so ein grosses Areal in Flammen.. vielleicht war der Hauptmann schon auf dem Weg zu ihnen und würde davon überrascht werden!

In der Tat, der Hauptmann konnte das Feuer sehen. Zumindest sah er aus der Ferne wie Rauch aufstieg. Einzuordnen wusste er es jedoch nicht so wirklich. Er hoffte nur, dass Leef und der junge Mönch es hatten umgehen können.
Seitdem das erste Licht des Tages wieder erschienen war, waren sie an der Schlucht entlang gegangen, in der Hoffnung, sie würde schmaler werden. Doch selbst, wenn der Hauptmann eine Kompanie mit dabei gehabt hätte, hätte er die Brücke nicht neu aufbauen können. Denn es gab mit Abstand nicht genug Bäume, um zu arbeiten. So musste er mit Laurent und den beiden Darjadhern einen anderen Weg finden.

"Die Göttinnen meinen es nicht gut mit uns. Zuerst die rohe Elementkraft Stein und nun das wilde Feuer..", murmelte Beshir, der das Feuer ebenfalls gut sehen konnte und gar nicht als gutes Omen betrachtete. Wenn aus dieser Ferne noch so gut sichtbar der Rauch in die Lüfte stieg, musste es sich um einen grossen Brand handeln. Und das Gebirge war noch so weit in der Ferne..

"Um uns mache ich mir weniger Sorgen", erklärte der Hauptmann. "Aber ich hoffe Leef und der junge Nathanael waren in der Lage das Feuer zu umgehen."
Nazim verschränkte lediglich die Arme.
"Der Junge ist zu weit weg, als dass ich ihn spüren könnte", erklärte er. "Ich kann nicht sagen, ob er noch lebt."
"Leef ist bei ihm", erklärte Garcia. "Er wird nicht zulassen, dass dem Jungen etwas passiert."

"Dass er es nicht zulassen würde, schliesst nicht aus, dass er es auch kann", ermahnte Beshir, auch wenn er natürlich hoffe, dass dem nicht so war. Doch wie entkam man solch einem Inferno?
Nein, die Götter schienen ihre Mission wirklich nicht zu beführworten.

Garcia blickte Beshir ernst an, doch leider stimmte es, was der Darjadher sagte. Auch wenn er vollstes Vertrauen in Leef hatte, wie weit konnte er den Jungen beschützen?
Er schüttelte den Kopf. Fürs erste mussten sie sich auf ihre Situation konzentrieren. Und im Moment mussten sie über diese Schlucht kommen. Nachdenklich schritt er an den Abgrund und schaute in die gähnende Leere. Die Schlucht war tief, und obwohl sie schon einige Zeit daran entlang geschritten waren, schien sie keinen Zentimeter schmaler zu werden.
Gerade als er sich abwenden wollte, fiel ihm etwas ins Auge. Eine Bewegung in den Schatten. Ein Huschen im Winde, wie Federn, die durch den Wind gleiten. Da unten bewegte sich etwas.

Sein verändertes Starren fiel natürlich auf und so blickte man ebenfalls hinunter und versuchte den Grund zu finden.
"Noch mehr Skorpione? Oder sind es diesmal Tausendfüssler?", fragte Beshir.

"Ich denke nicht...", murmelte Garcia und starrte in die Tiefe. "Da unten ist ein ziemlicher Zug. Vielleicht war es nur der Wind..."
Doch als hätte jemand auf sein Stickwort gehört löste sich etwas aus den Schatten und segelte durch die Mitte der Schlucht. Das war definitiv kein Insekt.
"Was im Namen des..."
Mehr bekam er nicht heraus, denn kurz darauf schoss etwas aus dem Grund der Schlucht hervor. Ein großes Tier mit dunklen Federn.

Automatisch zuckte Beshir zusammen und duckte sich, als das Tier über ihren Köpfen vorbeizischte.
"Bei den Göttern! Vielleicht haben sie unsere Aufgabe doch noch nicht ganz als verloren gekennzeichnet.."
Wenn auch noch lange nicht wirklich leichter gemacht.

"Ein Wink des Schicksals, in der Tat", stimmte Nazim zu. "Fragt sich nur, in welcher Richtung."
Anstatt auf das ewige Geschwätz von Göttern und Schicksal einzugehen, zückte Garcia lieber sein Schwert. Ihr Fokus war das Hier und Jetzt, alles andere konnte warten.
Das Tier verlangsamte seinen Flug und ließ sich auf einem Fels, nicht unweit von ihnen nieder. So etwas hatte Garcia noch nie gesehen. Das Wesene hatte dunkle Federn und einen Schnabel, wie ein Vogel. Doch unterhalb der Brust, hörte die Ähnlichkeit auch schon auf. Federn zogen sich zwar auch über den restlichen Leib, doch war dieser um einiges kräftiger. Die Kreatur hatte vier Beine, keine dünnen Vogelstelzen, sondern kräftige Pranken, überzogen von grauem Fell. Der Körper endete in einem sich windenden Schweif.
"Ein Greifvogel", stellte Nazim fest. "Interessante Fargbebung, wohl an die Umgebung angepasst. Ob sie in der Schlucht nisten?"

"Wenn dies der Fall ist, haben wir vielleicht soeben eine Möglichkeit gefunden, die Schlucht zu überqueren", sagte Beshir. "Zumindest, wenn uns diese edlen Tiere dies auch erlauben. Sehr zahm sieht er zumindest nicht aus."

"Greifen sind überaus intelligent und würden wohl durchaus verstehen, was wir uns von ihnen wünschen", stimmte Nazim zu. "Allerdings verstehen sie auch die Sprache gezogener Schwerter. Und sind nicht unbedingt dafür bekannt, besonders zahm zu sein."
Tatsächlich gab der Greif ein missbilligendes Kreischen von sich, das sich direkt an den Hauptmann richtete, der sein Schwert immer noch erhoben hatte.
"Ihr wollt dieses Monster reiten?!", kam es fassungslos von Laurent. "Wir können froh sein, wenn es uns nicht in kleine Stücke reißt!"

"Einen anderen Weg werden wir so bald wohl nicht finden", bemerkte Beshir.
Er ging einige Schritte in Richtung des Greifs, ging dann in die Knie und legte seinen Kampfstab vor sich auf den Boden.
"Edler Gebierter der Lüfte, wir kommen von weither mit einer Aufgabe von hoher Wichtigkeit, doch verwehren die Klippen deines Zuhause unser Weiterkommen", sagte er mit ruhiger Stimme und deutete dabei von sich uns seinen Gefährten hin zum anderen Ende der Schlucht.

Garcia starrte Beshir mit offenem Mund an.
"Seid Ihr des Wahnsinns?!"
"Wie ich bereits erwähnte, Greifen können jähzornig sein, jedoch auch intelligent", erklärte Nazim teilnahmslos. "Vielleicht bringt er ihn auf unsere Seite. Oder er wird in kleine Stücke gerissen."
Doch zu Beshirs Glück tat die Kreatur nichts dergleichen. Den am Boden knienden Beshir betrachtete sie einen Moment interessiert und blickte dann nachdenklich zu den anderen.
Der Greif drehte sich auf einmal herum und nickt mit dem Kopf in die Richtung einer Klippe, die weiter unten an der Schlucht aus dem Fels herausragte. Kurz darauf breitete er die Schwingen auf und erhob sich in die Lüfte.