RPG: Lex Animae

"Man sagt, man" sie holte zitternd Luft, "kann niemandem mehr trauen, der einen einmal belogen hat."
Anschließend stand sie auf, unsicher und nicht sonderlich stark. Ihre Beine fühlten sich an wie Pudding.

Der Anflug eines sarkastischen Lächelns kam über seine Lippen.
"Da könnte was dran sein?", gab er zu. "Wenn man nach der Logik geht, sollte man aber besser niemanden trauen. Vor allem nicht in den Kreisen, in denen du sonst so verkehrst."

"Ich weiß", sagte sie und schluchzte auf, dann vergrub sie das Gesicht in ihren Händen. Theoretisch wusste er ja schon, wie schwach sie eigentlich war, aber er sollte es nicht weiter sehen. Erneut rännen Tränen ihre Wangen hinab. "Ich weiß..."

Mit so einer Antwort hatte er nicht unbedingt gerechnet. Eher mit einem "Du hast doch keine Ahnung" oder "Was weißt du schon von echtem Edelmut?". Ihr Reaktion verwirrte ihn. Und die Tränen dieses naiven Mädchens brachen ihm das Herz.
Einen Moment stand er still. Dann schritt er auf sie zu, kniete sich zu ihr nieder und legte ihr eine Hand auf die Schulter. Behutsam nahm er ihr Kinn in eine Hand und drehte es so, dass sie ihm in die Augen sehen konnte.
"Verzeih mir", sagte er ruhig. "Ich hatte keine Wahl."

Tränen hingen in ihren langen Wimpern, als sie die Hände ein Stück weit lichtete, um ihn ansehen zu können. Ein schwaches, trauriges Lächeln huschte ihr über die Lippen. "Und ich dummes, naives Kind kann nicht anders, als Euch zu glauben."

René sah sie an und verlor sich in den Zügen ihres Gesichts. Den lockigen Haaren, den langen Wimpern, der feinen Nase und den vollen Lippen. Er löste den Griff um ihr Gesicht und strich sanft mit den Fingern über die Wange immer weiter am Gesicht hinunter. Bis sein Blick auf etwas fiel, was nicht so recht zum Rest passen wollte. Eine lange Narbe an ihrem Hals.
"Was ist das?", fragte er neugierig wie ein kleines Kind und fuhr vorsichtig über die Stelle, an der man sie verletzt hatte.
Doch noch bevor er weiter danach fragen konnte, wurde er von einem Krachen aus dem Unterholz hinter ihnen unterbrochen. Er drehte den Kopf und sah, wie Jin und Mistral aus dem Gebüsch hervorsprangen.

Sie blieb mit ausdruckslosen Gesichtszügen an seinen Augen hängen, zuckte aber zurück und entfernte sich dadurch wieder ein paar Zentimeter von ihm, als sie die Geräusche von Jin und Mistral. "Verschwindet", zischte sie, leise genug, dass nur er es hören konnte.

Er musterte sie einen Moment lang. Dann grinste er schelmisch und hielt das Amulett hoch, das er mit einer schnellen Bewegung von ihrem Hals entfernt hatte.
"Ich behalte es als Andenken an unsere Begegnung."
Lieber hätte er ihr einen Kuss gestohlen, doch das würde er wohl verschieben müssen, denn ein Sausen in der Luft hinter ihm zog seine Aufmerksamkeit auf sich. Er konnte gerade noch rechtzeitig zur Seite springen, bevor Jins Faust durch die Luft zog. Mistral stand hingegen hinter ihm. Der Kristall um ihren Hals leuchtete leicht und sie wirkte reichlich außer Atem. Doch noch bevor Jin nachsetzen konnte war René in den Bäumen verschwunden. Jin wollte ihm noch folgen, doch sein plötzliches Tempo war verloren.
"Tut mir leid", kam es keuchend von Mistral die ihre Hände in die Knie stemmte. "Ich kann nicht mehr."
Jin sah dem Dieb nur einen Moment nach, bevor er sich zu Ruut niederkniete.
"Bist du verletzt?"

Sie schüttelte wortlos den Kopf und richtete sich auf, schaute kurz in jene Richtung, in der er verschwunden war, dann schlang sie fröstelnd die Arme um ihren Oberkörper. Ihr war auf einmal so unendlich kalt.
"Wir sollten zu Meister Kurjaukka zurück", sagte sie dann mit recht monotoner, leiser Stimme.

Als Jin beobachtete, wie Ruut unsicher auf die Beine kam, legte er ihr behutsam aber fest, seine Hände auf die Schultern. Dann nahm er seinen Mantel ab und legte ihn ihr um.
"Bist du okay?", fragte Mistral und trat besorgt an Ruut heran, die aussah, als wäre sie völlig durch den Wind. Mistral selbst war noch völlig außer Puste. Wind zu manipulieren, damit sie schneller wurden, hatte sich als effektiv erwiesen, war aber anstrengender als sie gedacht hatte. "Hat er dir irgendwas angetan?"

Sie lächelte kurz, aber warm, dann nickte sie. "Ja, es geht... Er hat die Kette, weiter nichts." Anschließend musterte sie Mistral und Jin abwechselnd und fühlte sich schuldig. "Danke", sagte sie schließlich. "Und es tut mir Leid. Ich hätte... nicht so unendlich blöd sein sollen."

Mistral blinzelte reichlich verwundert als sie die plötzliche Veränderung in Ruuts Verhalten sah. Dann schmunzelte sie und kratze sich verlegen an der Wange.
"Naja...schon gut, kein Ding", meinte sie. "Immerhin hab ich ja auch nichts gemerkt bis es zu spät war."
"Schlangen sind listig", sprach Jin etwas kryptisch. "Sie hinterlassen keine Spuren im Gras und lenken mit ihrem farbigen Kleid ab. Man sieht sie oft erst zubeißen, wenn es zu spät ist."
Es war kaum zu glauben, doch für einen kurzen Moment lächelte Jin.
"Ein Schmuckstück kann man ersetzen und ein Schock währt nicht ewig. Es ist gut zu sehen, dass du unversehrt bist."

Sie erwiderte sein Lächeln, diesmal etwas länger. "Wir sollten zurück." Leider hatte sie vollkommen die Orientierung verloren, folglich keine Ahnung, in welche Richtung sie mussten.

Elise währenddessen wartete noch auf ein Zeichen von René, damit sie sich wieder zurück ziehen konnte. Offiziell gehörte der Junge zwar nicht dazu, dennoch wollte sie nicht, dass ihm etwas passierte, wenn sie mit ihm auf Mission war. Aber wahrscheinlich machte sie sich unnötig Sorgen um ihn. Er kam aus dem Dreck der Menschheit, er wusste, wie man überlebte.
Ihr Blick wanderte von der Umgebung zurück zu Iivari. Er hatte keine Waffen gezückt, kein gar nichts. Um genau zu sein, hatte er erschreckend ruhig reagiert, als sie erschienen war. Anderseits wäre es nicht seine Art gewesen, sich irgendetwas anmerken zu lassen.
"Denk drüber nach", meinte sie noch mit einem kühlen Lächeln auf den Lippen.
Er reagierte darauf nicht. "Wartest du auf dein Hündchen?" Daraufhin schaute er noch einmal die Kranken neben sich an. "Da dies eine meiner Krankheiten ist... Habt ihr jemand neuen, der sie kontrolliert oder ist diese Sacher hier mehr so auf Gut Glück?"
Sie lächelte erneut. "Wir waren uns so sicher, dass du kommst."

Jin legte Ruut behutsam einen Arm um die Schulter und stützte, während Mistral voranging und sie zurück ins Dorf führte.
"Oh Mann" seufzte Mistral, "freu ich mich vielleicht auf das Gesicht von der Vanilleschnitte, wenn er hört, das wir nichts rausgefunden haben..."

Hätte René ihren Kommentar gehört, hätte er ihn vielleicht sogar passend gefunden, denn jetzt sah er, dass Meister Kurjaukka definitiv keine kurzen roten Haare hatte.
René hatte sich seinen dicken Mantel und die Baskenmütze angezogen und lehnte sich an einer Stelle nicht unweit von Elise und dem Kerl hin. Er stellte sich so, dass sie ihn sehen konnte und gab ihr ein Handzeichen.

Ruut bedankte sich leise. "Na ja... Wir wissen, dass die Krankheit tatsächlich gelegt wurde... Und dass der Kerl eventuell da mit drin hängt." Jedenfalls war das ihr logischer Schluss gewesen.

"Nun denn", meinte Elise, als sie dies sah. "Überleg es dir. Bis dahin, mein Schneeglöckchen." Mit einer eleganten Bewegung drehte sie ab und ging.
Iivari verzog das Gesicht. "Vergiss nicht, Schneeglöckchen sind giftig", murrte er noch, aber laut genug, dass sie es hören konnte.

"Auch wieder wahr", wandte Mistral ein. "Andererseits, was wissen wir schon von ihm? Außer seinen Namen und die Tatsache, dass er René heißt? Vorausgesetzt das ist überhaupt sein richtiger Name."

"War ja offenbar ein herzliches Wiedersehen", bemerkte René. "Es geht mir immer das Herz auf, wenn ich sehe, dass zwei Menschen sich so nahe stehen."

"Ja, wollt ich auch grad sagen", seufzte Ruut. "Aber immerhin sind diese Verbrecher organisiert genug, jemanden zu schicken, der uns beschäftigt. Wahrscheinlich haben wir dank im das Essentielle übersehen."

Sie lächelte zufrieden. "Bei ihm ist es schon eine Errungenschaft, wenn er dich nicht hasst und wir zwei stehen uns näher als du denkst. Deshalb bin ich mir auch sicher, dass er kommen wird."

"Das Essentielle...", wiederholte sie und einen Augenblick arbeitete ihr Gehirn. Bevor ihr auf einmal der Atem stockte.
"Stimmt etwas nicht?", fragte Jin stirnrunzelnd.
"Sagt mal", begann Mistral zögerlich, "Meister Kurjaukka ist doch recht bekannt auf seinem Gebiet, richtig? Was wenn jemand...erwartet hat, dass er herkommt?"

"Wenn du das sagst", entgegnete René schulterzuckend. Einen Moment überlegte er zu fragen, was sie mit ihm wollten, aber wenn er so drüber nachdachte, wollte er es eigentlich gar nicht mal so genau wissen. "Aber ich schätze, spätestens jetzt sollte er in der Lage sein dieses...Virus zu heilen, richtig?"

"Dann waren wir wirklich nur die Ablenkung", stellte Ruut düster fest. "Wir sollten wirklich nachschauen, ob alles in Ordnung ist. Nicht, dass ich mich sonderlich um ihn sorgen würde, aber..." Sie beendete den Satz nicht, weil sie nicht wusste wie, hoffte aber, dass die anderen wussten, was sie meinte.

"War er schon die ganze Zeit, aber jetzt weiß er ganz genau, welches Medikament er verschreiben muss."

Mistral wusste genau was sie meinte. Sie konnte Iivari zwar nicht ausstehen, aber wenn er sterben würde...nein darüber wollte sie lieber nicht nachdenken.
"Beeilen wir uns besser", schlug sie vor und kramte wieder ihren Anhänger hervor. "Ein bisschen Energie hab ich noch übrig. Ich geb uns Rückenwind."
"Du solltest dich nicht überanstrengen", mahnte Jin, doch mehr sagte er nicht. Er hob Ruut hoch auf seine Arme. "Halt dich gut fest."
Mistral konzentrierte sich und der Kristall leuchtete auf. Kurz darauf bildeten sich hinter ihr und Jin Kleine Wirbelwinde.
"Jetzt!", rief sie und die Windballen schlugen ihnen in den Rücken. Daraufhin liefen sie mit einem Affenzahn ins Tal zurück.

"Sieh mal einer an", meinte René nur. Im Grunde freute er sich darüber, aber das erwähnte er lieber nicht. Zumindest nicht vor ihr. Er fummelte in seiner Tasch herum und kramte den Anhänger heraus. Ein hübsches Ding, teuer, aber nicht zu prunkvoll. Was Ruut dafür wohl bezahlt hatte?

Ruut hatte die Augen einfach nur ganz weit offen, sie war solch schnelle Reisemethoden nicht sonderlich gewöhnt und außerdem hatte Jin sie doch etwas plötzlich hochgehoben. Vielleicht sollte sie ihre anfänglichen Gedanken über ihr Team komplett revidieren. Jin und Mistral waren eigentlich verdammt korrekt.

Iivari stand unweit der Stelle von vorhin an der Seite und kritzelte in seinem Notizbuch herum. Er hatte das Bakterium zwar selbst erschaffen, aber früher unterstand er komplett seiner Macht, das war nun nicht mehr so, weshalb er sich zumindest etwas konzentrieren musste. Gegen die Krankheit direkt half zwar gewöhnliches Penicillin - wie auch bei der Syphilis, was Iivari verbittert lächeln ließ - beim Impfstoff hingegen war das etwas komplett anderes.

Mistral geriet unterdessen langsam ganz schön ins Schwitzen, sich solange auf die Magie zu konzentrieren war verdammt anstrengend und sie kam langsam zu der Vermutung, dass sie morgen früh Schmerzen in allen Gliedern haben würde.
Kurz bevor sie endlich in der Stadt ankamen, erinnerte sie die anderen nochmal daran, ihre Masken überzuziehen, bevor sie durch die Straßen brausten. Was sich als verdammt gefährliches Unterfangen herausstellte, denn hier waren um einiges mehr Leute.
"Verzeihung! Aus der Bahn! Vorsicht, heiß und fettig!", rief sie Passanten zu, während sie in immer schärferen Kurven an denen vorbei brausten. Sie verzog nervös das Gesicht, als sie einen Mann vorbei stolperten sah. Und trat plötzlich auf die Bremse, als sie auf einmal einen weißen Haarschopf in der Menge erkannte.

Iivaris Gesichtsausdruck war zuvor eigentlich ganz menschlich gewesen, fast entspannt, er verdüsterte sich erst zur gewohnten Unzufriedenheit, als er Mistral sah. Wenn er sich nicht täuschte, hatte sie das mit Magie gemacht, dieses schnelle Heranrasen. Mit Wind, nicht übel, nicht... Bah, hatte er grad ernsthaft positive Gedankengänge gehabt? Wie widerlich.
"Wurde ja auch langsam Zeit", murrte er, dann widmete er sich wieder dem Impfstoff-Rezept.

Iivari ging es gut, folglich ging es Mistral schlecht. Zumindest fiel es ihr etwas schwer, Erleichterung ob seiner guten Gesundheit zu empfinden. Jin hingegen sah das etwas lockerer, zumindest schien ihn der raue Umgangston Iivaris nicht so sehr zu stören.
"Ist etwas geschehen, während wir weg waren, Meister?", sagte er, während er Ruut vorsichtig wieder auf ihre Füße setzte. "Habt Ihr neue Erkenntnisse gewonnen?"
"Ist euch irgendjemand...ungewöhnliches über den Weg gelaufen?" Mistrals Stimme war mehr ein Stöhnen als sonst was.

"Etwas Ungewöhnliches? Dreiste Frage in einer Seuchengegend", meinte er, während er sein Blatt anschaute, die nächste Seite nahm und das Ergebnis noch einmal sauber abschrieb. Aber die drei hatten etwas Ungewöhnliches erlebt, dass sah er ihnen an. Ruut schaute ziemlich fertig aus, Mistral hatte viel Magie verwendet... Ausgezeichnet. Elise hatte erwähnt, dass sie jemand beschäftigte.
"Ist eine offiziell kaum erforschte Krankheit, die sich mit Penicillin behandeln lässt", erklärte er den Beiläufig. "Und der Impfstoff war fast noch einfacher." Eigentlich nicht, es wäre beinahe unmöglich gewesen, hätte er keine Vorkenntnisse gehabt.