RPG: Lex Animae

So war Mistral erstmal damit beschäftigt Ruut beim Aussuchen ihres Kleides zu helfen, eines ausgefallener als das nächste. Was bei Jin vor sich ging, bemerkte sie gar nicht mehr.

Von der Seite angesprochen zu werden, behagte Jin gar nicht, vor allem, da er den Angreifer gar nicht gehört hatte. Instinktiv fuhr er herum, packte die Person grob an der Schulter und zückte sein Messer. Als er in ein Gesicht sah, dass weder Mann noch Frau zu sein schien, blinzelte er verwundert.
"Wer seid Ihr?", fragte er.

Aatu verlor einen Moment sein charmantes Lächeln und schaute eher erschrocken drein, wobei er aber mehr wirkte wie ein verängstigtes Kätzchen als wie ein erwachsener Mann.
"Nur ein Besucher, wie Ihr es auch seid", erklärte sein Dämon auf der Schulter, der bei der Aktion leicht das Gefieder gesträubt hatte. "Ich wollte Euch nicht ratlos dastehen lassen." Der junge Mann hob Abstand haltend die Hände.

Jin sah zu dem Vogel und wirkte reichlich fassungslos.
"Hat Euer Vogel gerade gesprochen?!", fragte er verwirrt.

"Faapa spricht immerzu", sprach nun diesmal der Vogel mit einer Stimme, die eindeutig nach Papagei klang.
"Er muss nur auch für mich sprechen, ansonsten würdet ich Euch selbst wohl nichts mitteilen können", meinte der Dämon dann wieder mit Aatus Stimme.

Jin blinzelte verwundert und sah einen Moment nachdenklich zwischen dem Mann und dem Vogel hin und her. Dann senkte er vorsichtig sein Messer und steckte es wieder an den Gürtel. Nicht dass sie seinetwegen noch Ärger bekamen.
"Der Vogel spricht also für Euch?", erkundigte er sich. "Faszinierend. Verzeiht, wenn ich Euch erschreckt habe."

Aatu nickte heftig und lächelte wieder. Dabei sah er mehr aus wie ein Siebenjähriges, das gerade gefragt wurde, ob es eine große Portion Schokoeis haben wollte - ein siebenjähriges Mädchen, wohlgemerkt.
"Kein Thema", sprach dann der Vogel wieder mit seiner Vogelstimme. "Der Herr hat immer die Angewohnheit, sich an Leute anzuschleichen und sie zu erschrecken, er lernt einfach nicht darauf, dass die meisten es nicht mögen, wenn man ihnen einen halben Herzinfarkt verpasst." Er kicherte.

Jin war sich nicht ganz sicher, ob er dem Vogel oder seinem Herrn in die Augen schauen sollte.
"Jedenfalls macht Ihr das nicht schlecht. Ich hätte mich nicht besser anschleichen können." Nun blickte er definitiv zu dem Vogel. "Du sprichst für deinen Herrn? Bist du ein Dämon?"

Diesmal war der Vogel derjenige, der heftig nickte. "Ja, das macht Faapa und er macht es gern."
Aatu grinste, woraufhin der Dämon mit dessen Stimme sprach. "Wir sind ein ausgesprochen gutes Team. Wie ich sehe kommt Ihr nicht von diesem Ort, seid Ihr zufällig Schüler der Akademie?"

"So ist es", antwortete Jin, sah unsicher zwischen Mann und Vogel hin und her, bevor er seine Hand auf die Brust legte. "Ich bin Jin'do Pikkusu Huojokira Lötyi von den Ihmisielu. Ihr könnte mich Jin nennen. Und Ihr seid?"

Aatu klatschte begeistert in die Hände. Akademieschüler. Wie niedlich. Und ein arg genialer Name, er mochte Dinge, die... anders waren.
"Es freut mich, Jin", sprach er leicht salutierend. "Einen klanghaften Namen habt ihr, da kann ich nicht mithalten. Ich heiße Aatu Yksinäisyys und Faapa... heißt Faapa." Er lachte amüsiert.

Jin verschränkte die Arme und musterte die beiden interssiert.
"Was Ihr nicht sagt", antwortete er mit einem Schmunzeln in Richtung Faapa. "Euer Name ist aber auch recht einzigartig. Stammt Ihr von hier?"

[Ich glaube, in der Sprachregion sind solche Namen nicht aaaaallzu selten. Wobei die, die auf -nen bzw -en enden, wohl am häufigsten sind.]

"Also, ich stamme von den Inseln", erklärte er. "Aber nicht von dieser, wohl war. Ich komme aus Mirskiya, wo wilde Winde wehen."

[Vielleicht. Aber Jin ist ja ein Ureinwohner, dem sind die Namen vielleicht nicht sooo geläufig. Is ja auch wurscht.]

Mirskiya, Mirskiya, der Name sagte ihm was, das war doch...
"Tatsächlich?", fragte er interessiert. "Eine meiner Begleiterinnen ist auch von dort. Sagt Euch der Name Tuulika etwas?"

"Aber selbstverständlich!", sagte er grinsend. Er konnte sich noch ganz genau an den Raubzug erinnern, den Elise, Antero, Iivari und er dort einmal durchgezogen hatten. "Sie leiten ein Handelsunternehmen dort, sind ziemlich hohe Tiere."

"Soso", meinte Jin und legte nachdenklich die Stirn in Falten. Dann stammte Mistral also auch aus einer reichen Familie? Sie hatte nie davon erzählt? Und im Gegensatz zu Ruut merkte man es ihr auch nicht so recht an. Fand er jedenfalls. "Sagt, ich suche passender Kleidung für einen Ball. Könnt Ihr mir da weiterhelfen?"

"Aber gern doch." Deshalb hatte er ihn schließlich angesprochen.
Und so folgte ein Beratungsgespräch, Aatu war dabei um Längen weniger aufgeregt als Ruut, während er mit Jin den Laden nach etwas Passendem durchstöberte.

Auch wenn Jin Ruuts Gesellschaft alles andere als unangenehm fand, so musst er doch zugeben, dass er den Beratungen Aatus etwas besser folgen konnte. Zumindest hatte er jetzt eine grrobe Vorstellung, was die Leute hier erwarteten.
Einen tiefschwarzen Anzug hielt er eher für unangemessen, in Schwarz fühlte er sich nicht wohl. Hellere Farben würden allerdings nicht so recht zu ihm passen. Dann fiel ihm jedoch eine Kombination auf, die eher seinem Geschmack entsprach. Ein Jackett in einem Ton etwas dunkler als Hirsch aber heller als Bärenfell. Es war noch immer weit von dem entfernt, was er gewohnt war, aber der Anzug schien ihm schon eher passend.
"Meint Ihr, so etwas könnte mir stehen", erkundigte er sich bei Aatu.

"Oooooh ja", kam es beeindruckt von Aatu. "Ja, auf jeden Fall. Dies hier oder nichts." Jedenfalls war er, nach alldem, was sie sich schon angeschaut hatten, sich relativ sicher.
Beinahe beiläufig zog er eine Taschenuhr aus seinem Jacket, warf einen Blick darauf und... "Mist!", fluchte er leise. "Hab die Zeit aus den Augen verloren, ich fürchte, ich muss nun gehen."

"Verstehe", antwortete Jin, ohne weite nach einer Erklärung zu fragen. "Vielen Dank für Eure Unterstützung in dieser Angelegenheit."

Mistral betrachtete sich noch einmal eingehend im Spiegel, fuhr mit der Hand am Kleid entlang und beobachtete es von allen Seiten.
"Ja", meinte sie. "Ja, das gefällt mir. Elegant, fließend, aber noch mit ausreichender Beinfreiheit...perfekt. Wenn Sie es noch ein wenig auf meine Größe anpassen, nehme ich es gerne."
Sie sah hinüber zu Ruut.
"Was meinst du? Sieht das gut aus?" Sie fuhr sich nachdenklich durchs Haar. "Meinst du, ich könnte mir noch dazu eine Blume ins Haar stecken? Eine die dazu passt?"

"Hab ich gern gemacht", meinte er mit dem nach wie vor freundlichen Grinsen. "Und da ich annehme, dass Ihr zum Akademieball geht... Grüßt meine Zwillingsschwester von mir, solltet Ihr sie sehen." Daraufhin salutierte er ein letztes Mal, dann verschwand er ebenso lautlos aus dem Laden, wie er vorhin zu Jin gekommen war.

Ruut - immer noch in Ekstase, weil sie in ihrem Element war - klatschte begeistert in die Hände und säuselte Mistral die Ohren voll, wie wunderbar sie aussah und wie noch wunderbarer sie aussehen würde, wenn das Kleid dann die richtige Größe hatte. In dem Zug legte sie ihr auch sehr breit da, welche Blumen in welcher Farbe dazu gut aussehen würden.

Ob seine Schwester genau so eine geschickte Pirscherin war, wie er? Vielleicht sollte er ihn oder sie um Unterweisung bitten, sollten sie sich das nächste Mal treffen. Schließlich winkte er schulterzuckend eine Angestellte an sich heran, um sie zu fragen, ob er mal anprobieren konnte.

Mistral kam nicht drumherum, aber die Sache begann schon irgendwie, ihr Spaß zu machen. Formelle Anlässe waren zwar eigentlich nicht so ihrs, aber neue Kleider kaufen macht schon irgendwo Spaß, auch wenn Ruut ohne Punkt und Komma redete. Also hörte sie ihr aufmerksam zu, warf gelegentlich einen Kommentar und hier und da ein Kompliment darüber ein, wie gut Ruut das Kleid stand.
"Schon einen Favoriten ausgesondert?", erkundigte sie sich, als ihre Kameradin eine kurze Sprechpause eingelegt hatte. "Das Olivgrün passt schön zu deinen Augen. Oder willst du lieber etwas helleres?"

Letzten Endes entschied sich Ruut für ein helleres Grün. Für sie musste das Kleid sonderangefertigt werden, es war nicht auf ihre perfekten Maße angepasst, die ihr gerade abgenommen wurden.
Dabei wurde Mistral weiterhin zugequasselt, wie sehr sie sich freut und blablabla.
Irgendwann waren sie dann alle drei draußen, sie würden in drei Tagen wieder kommen, um das Zeug abzuholen und Ruut bedauerte zutiefst, dass sie Jin nicht im Anzug gesehen hatte, doch ihre Laune erhellte sich wieder, als sie an den Ball dachte.
Und so rückte das Fest immer näher.

Je näher das Fest kam, desto merkwürdiger wurde das Gefühl in Mistrals Magengegend. Sie wusste nicht so recht ob sie sich freuen oder fürchten sollte. Sie wusste, dass ihre Familie zu Besuch kommen würde. Wenn diese nur aus ihrer Mutter und ihrem Bruder bestanden hätte, hätte sie damit wenig Probleme gemacht, doch so verspürte sie eine leichte Anspannung.
Sie und Ruut hatten sich entschieden, sich vor dem Ball zu treffen, um einander bei den Vorbereitungen zu helfen, Ruut konnte sicher Hilfe mit dem Korsett brauchen. Geistesabwesend blickte Mistral in den Spiegel, während sie sich zurechtmachte.

Ruut erschien dann kurze Zeit später. Irgendwann hatten sie dann beide ihre Kleider an und sie kümmerte sich um Mistrals Haare und Schminke - wenn auch dezent, Mistral stand eher nicht so auf die Make-Up-Maske und irgendwie würde das auch nicht zu ihr passen.
"Kommt deine Familie eigentlich?", erkundigte sie sich dann beiläufig, nachdem sie schon die ganze Zeit vom heutigen Abend geschwärmt hatte. "Meine zumindest kommt."

Mistral atmete tief durch. Sie hatte befürchtet, dass diese Frage kommen würde. Die Standardfloskel schlechthin und doch das, was sie am meisten störte.
"In der Tat, sie kommen", erklärte sie. "Alle drei. Wenn du einen Herren mit weißblonden Haaren siehst, der sich umsieht, als würde er irgendwo Attentäter erwarten, müsste es mein Vater sein."
Einen Moment schmunzelte.
"Und der blonde aufgeweckte Junge mit den lila Augen ist mein Bruder. Du wirst ihn wohl erkennen. Sei bitte lieb zu ihm, wenn du ihn siehst."