Schicksalsspiel

Nun wirkte auch er irritiert und wieder schwieg er einige Momente, ehe sein Blick nun durchaus zuerst kritische, dann finstere und tadelnde Züge annahm.
"Ach, einen Schnupfen also? Ja, so sehe ich auch aus, ich liege im Sterben, dank eines unglaublich ansteckenden Schnupfens!"
Er kehrte ihnen den Rücken zu, um das Zimmer zu verlassen.
"Ich denke, es ist das Beste, wenn ich sofort die Oberheit darüber informiere, was für verlogene, niedere Ratten sich hier eingeschlichen haben."

In Lucias Gesicht spiegelte sich zunächst Verwirrung. Als sie erkannte, worauf er hinaus wollte verzog sie das Gesicht.
"Herr Livedin", wisperte sie ihrem Kameraden zu. "Bitte sagt mir, dass er nicht der Halbgott sein kann!"
Jedenfalls konnte sie nicht vorstellen, dass ihr Erlöser so aussehen sollte. Von lächerlicher Gestalt, grenzenlos eingebildet, arrogant und noch dazu mit einem Gesicht das...
Sie schüttelte den Kopf. Nein, sie konnte sich nicht vorstellen, dass diese...Person ein Halbgott sein konnte.

Elin hatte Lucia gehört und konnte ihr in Gedanken nur zustimmen. Bevor sie dem half würde sie lieber von den Engeln getötet werden.
"Sag mal", wandte sie sich wieder an den arroganten Magier. "Als besonders hochrangiger Magier weißt du doch bestimmt, was bei dem Aufstand gestern so alles vorgefallen ist?"

"Hmm, denke nicht, dass er das ist", beruhigte Livedin Lucia.
"Er wirkt nicht so auf mich ..."

"Pha, pha!", war aber die einzige Antwort, die Zirkon der jungen Dame an der Tür gab. Und ein Entgegenstrecken seiner flachen, erhobenen Hand in ihre Richtung, wies auch darauf hin, dass er keine weitere Störung durch sie erlauben wollte. Das Gespräch der anderen beiden schien er glücklicherweise nicht gehört zu haben, oder zumindest das Gemurmel wahrgenommen und dann als unwichtiges Gelaber abgetan zu haben. 
Noch einen Moment blieb er stehen und schnippte in die Finger. Anscheinend hatte er damit etwas bezweckt, als der sichtbare Effekt jedoch ausblieb, seufzte er, drückte sich die andere Hand vor die Augen und suchte dann so seinen Weg den Korridor hinunter zu den Meistern, um ihnen von diesen von den Stadtwachen gesuchten, simulierenden, stinkenden Aufrührern zu berichten. Die Tür zu ihrem Raum liess er offen.

Lucia sah dem Mann noch einen Moment nach und legte verwirrt den Kopf schief.
"Südländer sind merkwürdig", seufzte sich lediglich und setzte sich hin. Einen Moment legte sie den Kopf in den Nacken und betrachtete nachdenklich die Decke des Raumes.
"Nun, es hat wohl keinen Sinn weiter darüber zu lamentieren", beschloss sie. "Wir sind schonmal hier und das ist ein Anfang."
Sie ließ die Geschehnisse des Tages noch einmal Revue passieren und etwas in ihrem Gesicht erhellte sich.
"Einer der Magier erwähnte etwas von einer Bibliothek", überlegte sie. "Dieser Ort ist sicher voll mit seltenen Schriften. Vielleicht finden wir in einer davon einen Hinweis."
Mit festem Blick sah sie zu den anderen.
"Vielleicht hat einer der höheren Magier auch etwas bemerkt. Irgendjemand muss etwas merkwürdiges bemerkt haben. Bleiben wir erst mal eine Weile hier und sehen uns um. Ich bin sicher wir können hier einiges herausfinden."

"Hoffentlich", seufzte Livedin leise.
"Wir sollten uns erst einmal schlafen legen. Wir brauchen sehr viel Energie, denke ich ... Und was Anderes möchte ich im Moment auch nicht tun..."
Er liess sich auf ein Bett fallen und schloss die Augen.

"Nein, der ist einfach nur arrogant", seufzte Elin.
Sie war jedoch gar nicht müde, aber in der Bibliothek wollte sie sich auch gerne mal umsehen.
"Ist es nicht viel leicht besser, wenn wir uns nachts hier umsehen?", fragte sie. "Sind bestimmt nicht so viele Leute da."

Lucia überlegte einen Moment, schüttelte dann aber den Kopf.
"Lass das lieber. Wir sind neu hier und kennen uns nichts aus. Solange wir nicht wissen, wonach wir suchen verirren wir uns nur. Und wenn uns jemand erwischt, erregt das zu viel Aufsehen."

"Hm", machte Elin ein wenig beleidigt, was Lucia aber nicht böse.
Sie hatte ja schon Recht, nur wollte Elin nicht die ganze Zeit hier rumsitzen und versauern.

"Ich gebe ihr Recht ... Es ergibt keinen Sinn. zu viel Aufmerksamkeit auf uns zu lenken. Es war aschon auffällig genug, wie wir hierher gekommen sind", gähnte Livedin.

Und so brach die Nacht über sie herein und nach all den Strapazen der letzten Tage begrüßte Lucia das weiche Bett in der relativen Sicherheit der Akademie mit offenen Armen. Relativ. Denn wer wusste, wie lang sie hier noch sicher waren? Die ganze Stadt war voll mit den Engeln und ihren Anhängern. Was würden die Magier tun, wenn sie herausfanden, wer sie waren? Was wenn man sie den Engeln ausliefern würden?
Was wenn er kommen würde.
Sie versuchte den Gedanken abzuschütteln, aber sein Gesicht war immer noch da. Sie wälzte sich hin und her und fiel schließlich in einen unruhigen Schlaf.

Die folgenden Tage verliefen zu Lucias Erstaunen recht ereignislos, doch hätte sie sie keineswegs als langweilig bezeichnet. Das Studium an der Akademie der Magier war eine Welt für sich. Gleich am Tag nach ihrer Ankunft wurden sie in verschiedene Klassen unterteilt, in denen Lehrer ihnen Wissen über Theorie und Praxis der Magie vermittelten. Doch auch nichtmagische Fächer wie Geographie und Biologie wurden gelehrt und innerhalb wenige Tage lernte sie Dinge über die Welt, von denen sie in den Bergen nie zu Träumen gewagt hätte.
Doch leider wurde kaum etwas über Götter und Halbgötter gelehrt und die Lehrer reagierten auf das Thema eher ausweichend. Deshalb verbrachte sie jede freie Minute in der Bibliothek, in der Hoffnung dort einen Hinweis zu finden.

Der Unterricht langweilte Elin unglaublich. Sie musste Informationen beschaffen. Sie musste ihn finden. so schnell wie möglich! Aber das konnte sie hier drinnen nicht tun.

Lucia bemerkte Elins gelangweilten Blick und hob überrascht eine Braue hoch.
"Stimmt etwas nicht?", erkundigte sie sich. "Gut wir haben noch nicht viel neues rausgefunden, aber es gibt hier so viel zu lernen!"
Ihr Gesicht erhellte sich, als sie in einem der Bücher eine Abbildung fand.
"Sieh nur", flüsterte sie. "Eine Abbildung von Herr Livedin! Die Schultern sind etwas breiter als beim Original, meinst du nicht?"

Zirkon war empört. Er war einfach nur empört. Da hatte er den Grossmeistern doch erklärt, dass diese drei verspätet eingetroffenen Schüler bestimmt keine echten Schüler sein konnten, sondern Aufständige waren und erst noch garstige Lügen über Krankheiten und Gebrechen verbreiteten und was war passiert? Nichts war passiert! 
Sie seien doch bestimmt einfach nur von weither und mit den Regeln der Stadt nicht so gut vertraut. Sie haben definitiv magisches Potential, welches man fördern müsse. Junge Kinder waren manchmal halt gerne ein wenig stürmisch und rebellisch, das würde man schon noch gerade biegen. 
Bla, bla, bla. 
Als ihm das Gespräch mit den Grossmeistern einmal mehr durch den Kopf ging, grummelte er leise in sich hinein, während er seinen Blick über die Bücher schweifen liess. Irgendwo musste doch dieses verflixte Buch sein, in dem Leviation genauer erklärt wurde! 
Er zog eines heraus und blätterte ungeduldig und unaufmerksam darin herum, während sein Blick zu zwei Gestalten an einem Tisch einige Regale weiter wanderte und sich gleich noch ein wenig mehr verfinsterte. 
Da waren die Übeltäter. Ständig waren sie hier in der Bibliothek zu sehen. Wollten sich wohl bei den Meistern einschleimen, pfs.

Die ganze Zeit hatte Elin versucht noch mal ein bisschen Feuer zu machen, aber sie hatte es nicht mehr hinbekommen. Ob es wirklich nur an Livedin lag? Seufzend schaute sie auf ihre Hand, während sie die Finger bewegte.

Lucia musterte nachdenklich die geistesabwesenden Fingerbewegungen von Elin. Machte sie sich Sorgen um ihre Fähigkeiten? War sie deshalb so verschwiegen.
"Vielleicht musst du einfach noch ein bisschen üben", meinte sie. "Bis ich so über Wasser verfügen konnte, musste ich sehr lange..."
Sie brach ab, als sie einen missbilligenden Blick auf sich spürte. Ein unangenehmes Schaudern durchfuhr sie, als sie erkannte von wo es kam.
"Sieh besser nicht hin", wisperte sie Elin zu. "Da ist dieser...dieser...Blindgänger schon wieder."

Verwirrt sah Elin zu Lucia hoch. Sie hatte vorher noch nie solche Fähigkeiten gehabt. Aber trotzdem hatte es sich merkwürdig angefühlt.
Als Lucia diesen arroganten Schnösel erwähnte, warf Elin einen Blick über die Schulter und starrte genauso verachtend zurück.

So vergingen die Sekunden schweigend und angespannt, ehe er wegblickte, so tat, als wären die Bücher gerade viel, viel interessanter. Dabei dachte er jedoch angespannt nach, was und wie er es tun konnte, um den beiden seine Überlegenheit zu zeigen, sie irgendwie wenigstens verbal aus dem Fenster zu stossen. War hier ja doch der dritte Stock und die Decken der Räume waren hoch, weitaus höher als bei normalen Gebäuden. 
Letztendlich warf er erneut einen Blick zu ihnen. Es sah nicht so aus, als wäre der Kerl gerade anwesend. Dieser Unruhestifter. Vielleicht.. zumindest anzusehen waren sie ja schon nicht so arg grausig, erst einmal gewaschen und richtig eingekleidet in die Kluft der Studierenden.. Gerade die Dame, die nicht totkrank gespielt hatte, hatte ja etwas.. so schön exotisches. 
Er seufzte, schlug das Buch dann zu und schlurfte unglaublich selbstsicher wirkend zu ihnen, legte die Hände auf die Tischkante ihnen gegenüber und lehnte sich lässig ein Stück vor, nun sein eingeübtes Charmant-Lächeln im Gesicht. 
"Ihr müsst wohl besonders ambitionierte Damen sein, wenn man Euch so oft in diesen Räumen sehen darf. Ihr habt wohl vor, den alten Herren Eindruck zu machen, hm? Oder ist der Stoff einfach zu schwer und das benötigt all die Überstunden?"
Oh ja. Er war so gut. Darauf mussten sie erst einmal eine Antwort finden. hahaha.

Oh Gott, jetzt kam der Typ auch noch hier her und wollte wieder irgendwas abziehen.
"Im Gegensatz zu anderen brauchen verbringen wir unsere Zeit lieber anders, als den ganzen Tag in den Spiegel zu starren", erwiderte sie gelangweilt. "Und wer weiß, viel leicht sind wir ja so gut, dass wir ein paar Kurse übersprungen dürfen."

Lucia zog auf diesen Kommentar hin nur die Brauen zusammen und runzelte die Stirn.
"Seid unbesorgt, wir kommen zurecht", meinte sie nur und blätterte weiter durch das Buch. "Es gibt hier viel zu lernen, da verbringe ich gerne Zeit an diesem Ort. Euch geht es ja offenbar genauso. Wenn Ihr bemerkt habt, wie oft wir hier sind, müsst Ihr die Bibliothek ebenso oft besuchen."

"Ähm.."
Jetzt musste wohl erst er einmal eine Antwort finden. Also überlegte er und fummelte dabei an seinem Ohrring herum und musterte die Bücher vor den Beiden. Was sahen die da gerade an? Religion? Pfs.. Wie überflüssig. Wer glaubte denn heute da noch so stark an irgendwas?
"Spiegel sind sehr praktisch, wenn man es mit Basilisken zu tun hat. Der Basilisk wurde übrigens wieder gefunden und der eine Kerl da konnte auch wieder entsteinert werden.. ist halt ne Hand beim Transport abgebrochen, aber ach.. Und ähm.. So viel bin ich gar nicht hier. Oder sehe ich wirklich so aus, als hätte ich es nötig, Überstunden zu machen? Pfs.. Blödsinn. Mein magisches Talent ist so gewaltig, ich müsste eigentlich überhaupt nicht lernen."

"Dessen bin ich mir sicher", meinte Elin, obwohl sie das mit dem Basilisken viel interessanter fand.
"Ein Basilisk also", murmelte sie. "Da ist die Hand doch noch der geringste Preis, wenn man dafür solch ein Geschöpf sehen kann."
Sie mochte Fabeltiere ja, aber die Engel hatten wohl fast alle ausgerottet. Bis auf einige wenige anscheinend.

"Na ja.. Nein, eigentlich nicht. Ich mag meine Hände. Die sind ja auch sehr praktisch", sagte er und warf einen Blick auf seine eigenen, ehe er die zwei Damen aber wieder kokett anlächelte.

Was Zirkon wohl für "kokett" hielt empfand Lucia eher als dezent gruselig. Infolgedessen versuchte sie, sich auf ein anderes Thema als diese Person zu konzentrieren.
"Interessante Haustiere haben diese Magier", meinte sie und musterte den Mann. Allzu vertrauenerweckend wirkte er ja nicht aber er redete viel. Vielleicht konnten sie etwas aus ihm herauskitzeln. "Sagt, halten viele der Magier derartige Kreaturen, Herr...?"